Warum also sehen Menschen die Jungfrau Maria auf einem Toastbrot oder hören teuflische Kodierungen in „Stairway to Heaven“? Michael Shermer (Foto), Amerikas oberster Skeptiker, konnte gestern Abend im Bahnhof Langendreer anhand vieler anschaulicher Beispiele darlegen, wie breit gefächert die Palette des Unsinns ist, der von Menschen tatsächlich geglaubt wird, und wie gefährlich dazu! So gaben Militärs weltweit über 80 Millionen US-Dollar für eine Wünschelrute aus, die angeblich Bomben aufspüren konnte – was der Welt mutmaßlich viele Tote und Verletzte einbrachte, aber zum Glück letztlich auch einen inhaftierten Unternehmer. Oder die sogenannte Touch-Therapie in US-Krankenhäusern, die gänzlich ohne Berührungen auskommen soll. Hier werden tagtäglich hunderte Menschen, die dafür zum Teil auf wirksame Behandlungsformen verzichten, von selbsternannten „Energie-Heilern“ behokuspokust. Der Schwindel ist mühelos von einer 9-Jährigen wissenschaftlich widerlegt worden. (siehe: A Close Look at Therapeutic Touch).
Aber, und das war die Kernfrage in Shermers Vortrag, wer oder was bringt uns dazu, oder bringen wir uns etwa selbst dazu, bestimmte Dinge zu glauben – seien sie noch so hanebüchen – und anderslautende Tatsachen zu ignorieren?
Hier griff der namhafte Psychologe und Wissenschaftshistoriker auf die Mustererkennung durch das menschliche Gehirn zurück, die schon sehr früh in der Evolution der Primaten angelegt gewesen sein muss, sorgt sie doch dafür, dass wir im Zweifel eher vor Gefahren fliehen, die nicht vorhanden sind, als dass wir uns im Angesicht einer realen Bedrohung in trügerischer Sicherheit wähnen. Shermer schlug elegant den Bogen zur Gegenwart, in der nicht nur Gesichter auf Toastbroten, sondern speziell von Verschwörungstheoretikern viele Muster erkannt werden, die objektiv nicht vorhanden sind. Selbstverständlich gibt es – auch das ist reine Psychologie – viele Menschen darunter, die durch das Vertreten bestimmter, lediglich geglaubter Auffassungen nur ihre Gruppenzugehörigkeit zu Gruppen, die zumeist andere Schwerpunkte setzen und häufig ökonomisch motiviert sind, demonstrieren wollen, ohne sich inhaltlich mit ihren Thesen je ernsthaft auseinandergesetzt zu haben. Der wichtigste Grund für die Existenz von Verschwörungstheorien ist nach Shermer jedoch ein überraschender, nämlich die Existenz von realen Verschwörungen! Solange Politiker der Bevölkerung tatsächlich nicht immer die Wahrheit sagen und im Geheimen eigene Ziele verfolgen, werden die Vermutungen stets auch „ins Kraut schießen“. Hier helfen dann nur eine gute Bildung, umfassende Informationen und eine möglichst differenzierte Betrachtung der Fakten!
Nach diesem Appell an die Vernunft entwickelte sich eine rege Diskussion u.a. zu den ganz großen Fragen der Philosophie bzw. Ethik. Auf welchem Weg befindet sich die Menschheit denn nun? Die klare Antwort: Grundsätzlich auf einem guten! Der Buchautor Shermer nutzte die Gelegenheit, sein neuestes in deutscher Sprache erschienenes Werk zu diesem Thema kurz vorzustellen: „Der moralische Fortschritt – Wie die Wissenschaft uns zu besseren Menschen macht“ (November 2018, ISBN 978-3-86569-285-6). Eine Autogrammstunde rundete für Viele dann auch den erfolgreichen Abend ab.
Die Veranstaltung war ein Kooperation von Religionsfrei im Revier, Rhein-Ruhr-Skeptiker, Bahnhof Langendreer, Giordano-Bruno-Stiftung, Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten sowie Richard Dawkins Foundation für Vernunft und Wissenschaft.
Text: Armin Schreiner
Foto: Peter Ofenbäck