Wolfgang Dominik: Evangelische Kirche und der Faschismus

Religionsfrei im Revier hatte Wolfgang Dominik, studierter ev. Theologe, Sozial- und Geschichtswissenschaftler, gebeten, das Verhältnis der Evangelischen Kirche zum Faschismus darzustellen. Dazu sei es notwendig, so Wolfgang Dominik, kurz auf die prä- und postfaschistische Zeit einzugehen. Er berichtete, dass es inzwischen eine Fülle von Primärquellen, Literatur und Fernsehdokumentationen zum Thema gibt. Umso erstaunlicher sei es, dass sicher 95 % derer, die sich auch kritisch gegenüber den Kirchen verhalten, wenig bis nichts zum Thema wissen, sondern immer noch an die kirchenoffiziellen Mythen glauben, die direkt in den noch rauchenden Trümmern des Deutschen Reiches von den Kirchen hinausposaunt wurden. Die Legende wurde auch von Militärs und Politiker*innen, Kapital-Vertreter*innen, Richter*innen, Lehrer*innen, Polizist*innen usw. verbreitet: „Wir standen alle im Widerstand gegen den Faschismus.“ Die Deutschen begriffen sich ganz schnell als ein Volk von Widerstandskämpfer*innen. Viele hätten auch nur mitgemacht, um Schlimmeres zu verhindern oder waren heimlich im inneren Widerstand. Die folgenden Ausführungen zur Evangelischen Kirche ließen sich im wesentlichen auf die katholische Kirche übertragen.

Wolfgang Dominik: In dieser Einführung geht es nicht um eine apologetische Darstellung der ev. Kirche, davon gibt es genug.

Es kann auch nicht auf viele Details eingegangen werden, die sich in 28 Landeskirchen ergeben (Preußen mit 19 Millionen die größte, Birkenfeld und Lübeck mit unter 50.000 die kleinsten.) Diese Landeskirchen sind entstanden, weil sich einzelne Landesfürsten nach der Reformation aus der kath. Kirche gelöst haben. Das war seit der Reformation wesentliches Merkmal der ev. Kirchenverfassung, dass die jeweiligen Landesherren, Fürsten und Könige, Inhaber des Kirchenregimentes waren, die geistliche Gewalt, die Kirchenleitung innehatten. So entstand gleichzeitig die enge Verbindung von Staat und Kirche. Da es keine zentrale Instanz wie in der katholischen Kirche gab, waren die Landeskirchen alle etwas verschieden. Dennoch kann verallgemeinernd sehr wohl idealtypisch von der Evangelische Kirche gesprochen werden, da in der ideologischen und praktischen Gesamtschau sich ein durchgehendes Muster bietet.

Beiden Kirchen ging es um Besitzstandswahrung, was den kirchlichen Raum angeht, nicht um Vorgänge und terroristische Aktionen, die sich gegen Menschen außerhalb der Kirche wandten. Wenn Kritik an der faschistischen Partei und dem faschistischen Staat geübt wurde, dann ging es um systemstabilisierende Detailkritik.

Antifaschistischer Widerstand wurde nicht geleistet (bekannte Ausnahme Bonhoeffer). Antifaschistischer Widerstand wäre ein Widerstand gegen die faschistischen Ideologien, gegen die faschistischen Praktiken, gegen die faschistischen Methoden und Ziele gewesen. Oft wird eine Detailkritik oder ein Protest oder Widerspruch gegen eine einzelne faschistische Maßnahme als Widerstand bezeichnet.

Die evangelische Kirche war Kirche im „Nationalsozialismus und nicht gegen den Nationalsozialismus“. Dass ich nicht die faschistischen Propagandabegriffe „Nationalsozialismus, 3. Reich oder 1000jähriges Reich“ benutze, versteht sich als Antifaschist von selbst.

Es sei darauf hingewiesen, dass es durchaus tausende Christen gab, die gegen faschistische Maßnahmen protestierten. Hunderte wurden auch von den faschistischen Behörden gemaßregelt, bestraft, 18 wurden von den Faschisten ermordet (Märtyrerbuch der EKD: Liste der 18 bei Prolingheuer, Kleine politische Kirchengeschichte, S. 190, Anm. 186). Antifaschist*innen gab es kaum darunter. Die Faschisten reagierten auch auf Detailkritik, wenn das große und ganze anerkannt oder sogar bejubelt wird.

Erklärende Rückblicke:

  1. Es fand nach 1918 in der ev. Kirche eine nostalgische Klage über die verlorene Einheit von Thron und Altar statt. Thron, das waren der Staat und der (protestantische!!) Altar; die evangelische Kirche fühlte sich als Teil des Staates, der patriarchalisch die Untertanen, das Volk, zu beaufsichtigen und zu erziehen hatte. Niemals wurde ein Gedanke an die 20 Millionen Tote, die der vom Kaiserreich angezettelte Weltkrieg mit dem Ziel Griff nach der Weltmacht kostete, nach 1918 verschwendet oder gar ein Gedanke hinsichtlich einer Mitschuld erwogen. Der Kirchenkampf gegen die junge Republik begann mit dem 9.11.1918. Oder es wurde ganz anders der Toten gedacht: Im Eingangsbereich der Christuskirche in Bochum stehen 28 Feindstaaten rechts und links an der Türwand, die – so die Botschaft – für den Tod von 1358 zerfetzten, verreckten Soldaten allein der Innenstadtgemeinde verantwortlich waren. Die Namen der 1358 stehen rechts und links an der Wand in der Eingangshalle. Die Seelen der im Krieg Gemordeten bewegen sich auf einen blauäugigen, blondgelockten Jesus an der Stirnwand der Eingangshalle zu. Rache und Revanche war die Botschaft. Und Bochum war überall!! Hunderttausende von Kriegsinvaliden und Millionen von Hinterbliebenen waren mehr oder weniger auf Almosen angewiesen. Für die Kirche aber stand fest: Gott hatte den Deutschen den Krieg aufgegeben – er musste in Gottes Namen geführt werden, damit nach dem Sieg das stattfand, was in einer Forderung hieß: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen! Das Manko war gewesen, dass man nicht den „totalen Krieg“ geführt hatte. Otto Dibelius, damals schon ein wichtiger Repräsentant der Ev. Kirche in Berlin, stellte noch im April 1918 entsprechende Forderungen. Die Predigten für die Zeit nach dem Endsieg waren schon fertig.

Bis 1918 war der Kaiser qua Geburt als preußischer König der summus episcopus, der oberste Bischof der Evangelischen Kirche. Wilhelm II. als Lutheraner war ein radikaler Antisemit. Zu Wilhelms II. Jugendzeit wirkte der Hassprediger gegen Juden, Adolf Stoecker, in Berlin als Hofprediger. Aber natürlich waren Stoecker und der Historiker Heinrich von Treitschke nachhaltig chauvinistisch-völkische und antisemitische Ideologien bildend. Treitschke sah als Geschichtsprofessor alles bewusst aus der völkisch-nationalistischen antisemitischen Sicht.

Das Trauma der Abdankung des Kaisers ließ schnell den Traum vom „1000jährigen Reich“ beginnen (Chiliasmus: Im Feudalismus erwarteten Christen immer wieder mal das Ende der Welt und dann ein 1000 jähriges, also ewiges , Gottesreich ( gr. Chilii= tausend).

Eine Rückkehr in die guten alten Zeiten, in denen die Ehe von evangelisch-lutherischen Thron und evangelischem Altar auch personell feststand, war der dringende Wunsch der Mehrheit der ca. 20.000 evangelischen Pfarrer und ihrer Gemeinden. Gegen die Weimarer Verfassung und ihre „Systemparteien“ aus Sozialisten und Ultramontanen, also Katholiken (Zentrum) und DDP wetterten evangelische Pfarrer einschließlich ihrer Kirchenleitungen seit dem 9.11.1918 unaufhörlich. Otto Dibelius, DNVP, koordinierte den Kampf gegen den „organisierten Vaterlandsverrat“ (Prolingheuer, Kleine politische Kirchengeschichte, Köln 1984, S. 18.) Während der Weimarer Republik verbündeten sich mehr als 80 % der evangelischen Pfarrer mit der DNVP und verkündeten natürlich auch von der Kanzel ihre politischen Anschauungen (Hartwig Hohnsbein, Umgelogen, in: Ossietzky 3/2013, S. 73-76, hier S. 74). „Wir sind neutral und wählen deutschnational.“ I.d.R. kam der evangelische Pfarrernachwuchs aus Pfarrhäusern, Offiziersfamilien oder anderen großbürgerlichen oder adligen streng nationalkonservativen Familien. Die Pfarrer gehörten in aller Regel zu den konservativ-reaktionären Eliten, denen jede Demokratisierung der Gesellschaft Teufels Werk war. (s. Erwin Eckarts Aufzählung bei Wolfgang Klein, Ein Volk, ein Reich, eine Kirche, Die evangelische Kirche im Faschismus, S. 37) Sie alle führten einen Kirchenkampf und politisch-ökonomischen Kampf gegen die demokratischen Errungenschaften der halben Revolution von 1918/19. Der GAU trat für beide Kirchen nicht ein: Zwar wurde die Trennung von Staat und Kirche in die Verfassung aufgenommen (Art. 137,1: Es besteht keine Staatskirche), aber die massiven Proteste beider Kirchen gegen den Verlust finanzieller und anderer Privilegien wurden ebenfalls wahrgenommen, und die Kirchen bekamen verfassungsmäßig zahlreiche Freiheiten und finanzielle Sicherheit zugesichert.

2. Es wurden für die Niederlage, den sittlichen Verfall in der neuen Republik, die herrschende Unmoral und alles Elend die Juden und ihr sozio-kultureller Einfluss verantwortlich gemacht. Der Dolchstoß in den Rücken des Heeres wurde durch Juden und die mit ihnen jüdisch versippten Sozialdemokraten begangen. Der Schandvertrag von Versailles widersprach jedem deutschen treuen Herzen. Verrat an Kaiser und Volk durch Verzichtpolitiker musste gerächt werden. Gerade die Gebietsverluste machten Deutschland jetzt erst recht zu einem Volk ohne Raum. Das waren kollektive Narrative in militärischen und konservativen bis hin zu kleinbürgerlichen Gesellschaftsschichten.

Die Rückkehr der Monarchie wurde herbeigebetet, selbstverständlich auch die Rückgabe der Kolonien (natürlich nur, um „die dortigen Eingeborenen“, unzivilisiert und barbarisch wie die nun mal waren, im Sinne protestantischer Gründlichkeit zu missionieren). Als die NSDAP seit 1930 mehr und mehr an die Macht drängte, schwenkten viele Pfarrer direkt zur NSDAP um. Die versprach dann und wann, aber tatsächlich nie ernst gemeint, 1. die Rückkehr der Hohenzollern. Hitler, von der Vorsehung gesandt, war eine Art Quasi-Kaiser, der Führer, der als Heilsbringer, sogar oft Heiland genannt, gegen alles Böse einschließlich der Verlotterung des Lebens, sexueller Freizügigkeit und sonstiger Sittenlosigkeit durch die liberale Demokratie, durch Juden, Sozialisten und Kommunisten, angesehen wurde. 2. Der Kampf gegen den jüdisch-bolschewistisch-atheistischen Marxismus (dazu gehörten auch Sozialdemokraten) führten beide Kirchen seit langem. Die Verursacher des Dolchstoßes von 1918 mussten zur Rechenschaft gezogen werden. 3. Antisemitismus gehörte sowieso zur protestantischen Weltanschauung (mit Berufung auf Luther) und war in der Regel ideologisches Allgemeingut. Seit der „Konstantinischen Wende“ im Jahr 313 war die Geschichte der Christenheit aber voll mit regelmäßigen Pogromen gegen jüdische Menschen. Es begann die Kriminalgeschichte des Christentums (vgl. Karlheinz Deschner, Die Kriminalgeschichte des Christentums -10 Bände, 1986 ff.) Juden waren die Gottesmörder, glaubten nicht an Jesus als den verheißenen Messias, glaubten nicht an Jesus als den Gottessohn geboren durch eine Jungfrau, glaubten nicht an Sündenvergebung durch den Tod Jesu am Kreuz, glaubten nicht an die Auferstehung und waren so verstockt, dass sie sich selten missionieren ließen. Deswegen wurden immer wieder Massenmorde an denen verübt, die nicht der offiziellen Kirchenlinie entsprachen oder wenn Sündenböcke gesucht wurden, die für schlechte Ernten, Krankheiten u.ä. verantwortlich gemacht wurden.

3. Ab 1933 war man sich eigentlich quer durch die Ev. Kirche einig, dass Hitler ein von Gott gesandter Retter der Nation ist. Endlich praktizierte einer den Kampf gegen Aufklärung, Pazifismus, Liberalismus, Individualismus, Demokratismus, Sozialismus, Kommunismus. Es wurde eine gerade Linie gezogen von Luther über Friedrich den Großen zu Bismarck, Hindenburg und Hitler. Diese Reihe steht auch gegen alles Verderbliche: Französische Revolution, Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, die deutsche Revolution von 1848/49 und 1918/19 und die Moral-, Sitten- und zucht- und ordnungslose verkommene Zeit nach 1918.

4. Der Kampf gegen alles Kommunistische war seit fast 100 Jahren selbstverständlich. Dazu zählte alles, was sozialdemokratisch und links davon war: KPD, Gewerkschaften, Genossenschaften, also die gesamte Arbeiterbewegung. Gegen all die Terrormaßnahmen gegen „Volksverräter“ von z.B. 1933ff wurde von der Kirche nie protestiert. Die Folterkammern für „Staatsfeinde“ waren auch in Bochum mitten in der Stadt. Das erste sog. wilde KZ wurde in der Zeche Gibraltar an der Ruhr eingerichtet. Die Kirchen schwiegen nicht nur, sondern begrüßten es, dass linke Staatsfeinde ihre gerechte Strafe bekamen und umerzogen wurden. Als die ersten Emslager fertig gestellt waren, wurden die Gefangenen dorthin gebracht. Danach wurde in der Zeche Gibraltar eine SA-Führungsschule eingerichtet. Zur Eröffnung predigte der evangelische Pfarrer Matthieu über das Führerprinzip und dass dieses fest im Evangelium und bei Luther verankert sei. Eigentlich fanden bei Dutzenden solcher faschistischen Freudenfeiern in Bochum keine Feier ohne Pfarrer im Talar statt, und es wurde gepredigt, dass gegenüber Hitler als Werkzeug Gottes unbedingter Gehorsam und Mannestreue zu halten sei. Und der Führer wurde aufgefordert, rücksichtslos und radikal gegen Volksverräter vorzugehen. Noch einmal: Bochum war überall!

5. Die Faschisten beriefen sich dann, so weit sie evangelisch waren, wie die evangelische Kirche ebenfalls auf Luther. Aber auch der Katholik Hitler (übrigens nie exkommuniziert!) verkündete, das Werk Luthers vollenden zu wollen. Er war „gottgläubig“. Seine Reden verwiesen immer auf die Vorsehung, sie endeten oft mit religiösen Formeln. In Bochum fanden vor und nach 1933 die Versammlungen der NSDAP in evangelischen. Gemeindehäusern statt. Schon vor 1933 waren nach und nach ab 1928 alle Nazigrößen ins Evangelische Vereinshaus (2000 Plätze) an der Mühlenstraße in Bochum eingeladen. Zur faschistischen Bewegung hatte die Kirche keine Berührungsängste, ganz im Gegenteil! Evangelische Pfarrer hielten oft die Begrüßungsworte; Eingangs- oder Abschlussgebete waren üblich.

Es gab vor 1933 kaum einen Theologen, der vor dem Faschismus warnte. Eine ganze kleine Minderheit waren die religiösen Sozialisten mit Paul Tillich und Erwin Eckert. Weil bei ihnen der gehasste und verpönte Sozialismus-Begriff im Gruppennamen auftauchte, hörte niemand auf sie bzw. beschimpfte sie als Verräter an der christlich-völkischen Sache.

Allgemein lässt sich sagen, dass die Deutschen Christen (DC), die sich Mitte 1932 aus der Evangelischen Kirche herausbildeten, die faschistische Bewegung ohne Wenn und Aber unterstützten. Sie vertrat den offiziellen Standpunkt der NSDAP: Positives Christentum.

Es entwickelte sich innerhalb der Evangelischen Kirche der Kirchenkampf zwischen DC und Bekennender Kirche (BK), gegründet endgültig 1934 in Barmen, aber 1933 schon sich herausbildend. Es ging um die reine Wortverkündigung statt um politisch und rassistisch gefärbte Tiraden im Gottesdienst. In der Kreissynode Bochum ergab sich 1933 ein Übergewicht der DC: Es stand 42 zu 18 bei wichtigen Abstimmungen.

Die Pfarrer Ehrenberg (nach faschistischer Rassenlehre Jude, obwohl seit 1909 Christ) und Schmidt übten einen grundsätzlicheren Protest gegen die Faschisten. Aber in Bochum standen solche Pfarrer wie überall ziemlich allein.

Die Evangelische Kirche, zu der die DC und die Oppositionellen der BK ja gehörten, sprach noch im Juni 1933, beispielhaft hier die Kreissynode Bochum, von dem „reinigenden und befreiendem Gewitter“, das über Volk und Vaterland im Januar 1933 begonnen hatte. Die Machtübergabe an die faschistische Bewegung wurde allgemein feiernd begrüßt. Bedenkt „man“, was alles an politischen Repressionen und offenkundigen Verbrechen gegen Kommunisten, Gewerkschaften, Sozialdemokraten, Juden, Intellektuellen (Bücherverbrennung im Mai/Juni 1933) bis zum Juni 1933 schon reibungslos stattgefunden hat, erkennt „man“, dass irgendeine Kritik nicht aufkam. (vgl. , G. Brakelmann, Hitler und Luther 1933, Norderstedt 2008, S. 19 Mitte bis 21). Niemöller: Als sie die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist; als die Nazis die Sozialdemokraten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialdemokrat; als die Nazis die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude. Als die Nazis mich holten, gab es niemanden mehr, der hätte protestieren können.

Dass im August 1933 OB Dr. Piclum, ein Nazi, der ab März 1933 die Geschäfte der NSDAP als OB in Bochum vollzog, die aus der Kirche ausgetretenen Nazis aufforderte, wieder in die Kirche einzutreten, war für die Kirchen eine große Freude.

6. Weil die Faschisten immer direkter in die Belange der Ev. Kirche eingriffen, bildete sich im Herbst 1933 der Pfarrernotbund. Es ging um das Juden ausschließende staatliche Beamtengesetz vom April 1933, das im Sept. 1933 auch von der evangelischen Kirche zum Kirchenrecht gemacht wurde. 30-50 Pfarrer von ca. 20.000 waren getaufte Juden, sog. Judenchristen; sie hießen später getaufte Nichtarier. Die Kirche beschloss, dass entsprechend dem Beamtenrecht zu verfahren ist. Diese christlichen „Judenpfarrer“ wurden z.T. in den Ruhestand versetzt oder sollten höchstens noch mindere Gemeindearbeit machen. dürfen. In Bochum wurde Pfarrer Ehrenberg von seiner Kirche gezwungen, keine öffentlichen Reden mehr zu halten und sich ganz in die seelsorgerliche Gemeindearbeit zurückzuziehen. So um 1935 wurde ev. Pfarrhäusern Verjudung vorgeworfen, weil ein Pfarrerssohn eine Jüdin geheiratet hatte. Daraufhin reagierte die ev. Kirche äußerst empört und wies nach, dass das ev. Pfarrhaus empirisch nachweisbar die beste arische Erbmasse in allen Gesellschaftsschichten hat. Die Zahl der im Sinne der Faschisten nichtarischen Pfarrer beträgt 0,3% von 20000 mit bester Erbmasse ausgestatteten Pfarrern. (Hans Prolingheuer, Die Schuld der evangelischen Kirche an den Juden, in: Neue Stimme, 1/87, S. 23ff

Für sog. Judenchristen (getaufte Nichtarier) ohne kirchliche Ämter wie den Oberbürgermeister Bochums Dr. Ruer rührte sich kein evangelischer Pfarrer, aber auch kein Gemeindemitglied. 1934 ging der Pfarrernotbund weitgehend in die im April gegründete Bekennende Kirche (BK) über.

Es ging dem Pfarrernotbund und der BK nie um getaufte Juden allgemein noch um jüdisch glaubende Menschen. Karl Barth bedauerte noch 30 Jahre nach der sog. Bekenntnissynode in Barmen, dass die BK die jüdischen Bürger*innen nicht in dem „Barmer Bekenntnis’“ erwähnt. Das Büro Grüber war eine im September 1938[ vom Pastor Heinrich Grüber gegründete Organisation der BK. Die Organisation leistete Hilfe, um in erster Linie rassisch verfolgten evangelischen Christen die Auswanderung, besser: Flucht, zu ermöglichen. In der staatlichen Anerkennung als Organisation zur Förderung der Auswanderung der als Juden verfolgten Deutschen erscheint das Büro unter dem Namen Hilfsstelle für nichtarische Christen. Die BK förderte die Flucht in erster Linie „christlicher Nichtarier“. Die sog. Auswanderung war durchaus im Sinne des faschistischen Staates, fiel doch das gesamte Vermögen der Fliehenden in die Hände des Staates.

7. Auch den Pfarrern in der BK ging es um die Besitzstandswahrung ihrer Kirche. Was „draußen“ passierte mit Kommunisten, Juden, den Gewerkschaften und der SPD interessierte herzlich wenig, wurde sogar allgemein begrüßt und als durchaus verständlich entschuldigt, ging es doch gegen Volksfeinde, die auch für Kirchenfeinde gehalten wurden. Die Abschaffung der bürgerlichen Demokratie fand „man“ sowieso für Röm. 13,1 entsprechend (alle Obrigkeit wird von Gott eingesetzt und nicht etwa von den Volksmassen demokratisch gewählt!), konnte auch mit Martin Luther gut begründet werden und war deshalb sowieso richtig. Z.T. waren Pfarrer der BK monarchistisch gesonnen und wünschten sich die Rückkehr des Kaisers, hatten also mit Demokratie nichts im Sinn. In der ersten Barmer Bekenntnissynode saßen 137 Pfarrer (Pfarrerinnen gab es noch nicht). Von diesen 137 hatten mindestens 10 das Goldene Parteiabzeichen der NSDAP am Revers! (https://de.wikipedia.org/wiki/Goldenes_Parteiabzeichen_der_NSDAP) Andere waren einfache Mitglieder der NSDAP. Der Pfarrer Lenz der BK war SS-Oberscharführer und diente als Bekenntnispfarrer im KZ Hersbruck. Die Diakonie betrieb aber auch ein eigenes KZ. Briefkopf: Landesverein der Inneren Mission, Abteilung Konzentrationslager Kuhlen“. Ich zitiere aus dem Bericht der FR vom 2.2.1988: „Der damalige Präsident des des Zentralausschusses der Inneren Mission, Pfarrer Horst Schirmacher, forderte auf einem Diakonentreffen: “Wir grüßen Euch alle als die SA Jesu Christi und die SS der Kirche…. evangelische Diakonie und Nationalsozialismus gehören in Deutschland zusammen.“ Diakone seien „in Scharen der SA beigetreten“. Einzelne diakonische Einrichtungen hatten einen eigenen SA-Sturm gestellt, der scherzhaft „heiliger Sturm“ genannt worden sei. Diakone seien auch als Wachmänner in KZs geschickt worden. (s. Ernst Klee, Die SA Jesu Christi, 1993) Es gab nie eine Unvereinbarkeitserklärung der BK für Pfarrer in der SS oder in Diensten eines KZ (Prolingheuer, Kleine…., S. 191, Anm. 186). Vieles an der faschistischen Bewegung fanden die bildungsbürgerlichen Pfarrer zu laut, zu plebejisch, etwas unfein. Es gab Pfarrer der BK, die den jüdisch-christlichen Pfarrern erklärten, nichts für sie tun zu können, weil Gottes Gericht an ihnen vollzogen wird. (vgl. Prolingheuer, Teil 2, in: Junge Stimme, 2/87, S. 21)-. Wieder konnte man sich auf Luthers faktische Anweisung zur Shoah beziehen.

8. Der Weg zum Krieg wurde in der Ev. Kirche allgemein gutgeheißen, ging es doch darum, die Schmach von Versailles zu tilgen und Rache für den Dolchstoß von 1918 zu üben. Der damals schon bekannteste Vertreter der BK, Martin Niemöller, hat noch als Privatgefangener (Sondergefangener) Hitlers versucht, doch endlich wieder als Marineoffizier wie im 1. Weltkrieg U-Boot-Kommandant zu werden. Und das nicht irgendwann, sondern nach dem 1.9.1939! 1935 durfte Niemöllers Buch „Vom U-Boot zur Kanzel“ immerhin weiterhin erscheinen, obwohl da Niemöller schon zur 1934 offiziell gegründeten BK gehörte. Niemöller begrüßte den Austritt aus dem Völkerbund, die massive Aufrüstung, den Überfall auf Polen und die Sowjetunion! Andere Teile der NSDAP-Politik gefielen ihm besonders gut: Vor allem die Familienpolitik: Frauen gehören als Mütter vieler Kinder in die Familie und an den Herd und sollten politisch den Mund halten.

(Eine Arbeitsgruppe um Günter Brakelmann hat zu Kirche im Krieg eine Quellenband herausgegeben. Günter Brakelmann (Hg.), Kirche im Krieg, 1979)

9. Die Mitglieder der BK waren der theologischen und politischen Überzeugung, dass ihr Kirchenkampf im und nicht gegen das faschistische Deutschland ausgetragen wurde. „Wir sind Kirche im Nationalsozialismus und nicht gegen den Nationalsozialismus“. (vgl. Horsta Krum, Am 1. Juli 1937 wurde Pfarrer Martin Niemöller verhaftet, (s. Mitteilungen der KPF, 7/2012, S. 23f). Niemals stellte die BK die Legitimität der faschistischen Regierung in Frage – bis zum Schluss! Zum 50. jährigen Geburtstag des Führer (20.4.1939) erklärte die Bekennende Kirche: „Die Gestalt des Führers hat auch für die Kirchen eine neue Verpflichtung heraufgeführt.“ Es gelte nun, an „ der deutschen Sendung in der Völkerwelt teilzunehmen“ (S. Hohnsbein in Ossietzky, 16/2020, S. 558) Unaufgefordert wurde nach dem Attentat am 20. Juli 1944 eine Verlesung des Dankesgebets vorgenommen, das die Kirchenleitung zur „Errettung“ des Führers durch Gott verabschiedet hatte. Und die Kirchenglocken läuteten landauf, landab als Dank für die Rettung des Führers.

10. Viele Pfarrer der BK leisteten auch nach der Verhaftung Niemöllers noch ihren Treueid auf Hitler! (Horsta Krum, „Dem Rad in die Speichen fallen“, Über Dietrich Bonhoeffer, jW 9.4.2015). Bonhoeffer war als Pazifist und Antifaschist die große Ausnahme! Er wollte, wie er sich ausdrückte, dem Rad in die Speichen fallen und nicht nur manchen von denen, die unters Rad gekommen sind, helfen. Ab 1938 hatte er Kontakte zum militärischen Widerstand. Er arbeitete ganz offiziell nun in der Abwehrorganisation Canaris als ziviler Abwehrmann. Gleichzeitig versuchte er sein Möglichstes in der BK. Am 5.4.1943 wurde er schließlich mit Canaris u.a. verhaftet. Als Sondergefangener Hitlers wurde er erst zu Ende des Faschismus ermordet: Am 9.4.1945 wurde er im KZ Flossenbürg gehängt. Es ist pervers, dass die wenigen Ausnahmen von Pfarrern und Priestern, die gegen ihre offiziellen Kirchen gegen den Faschismus gehandelt haben, nach 1945 als die Vertreter der Kirchen ausgegeben wurden. Die Kirchen erklärten sich 1945/46 kollektiv zu Widerstandsorganisationen.

Dass Bonhoeffer nach seiner Verhaftung nicht in die Fürbittengebete der BK aufgenommen wurde, ist aus Sicht der BK nur konsequent. Mit einem politischen und militärischen Widerstand wollte sie nichts zu tun haben.

11. Die protestantische Kirche war (bis auf Ausnahmen) dialogunfähig. Man verkündete eigene Wahrheiten und Werturteile ex cathedra, da gab es nichts zu diskutieren (so Brakelmann in Vorträgen). Pfarrer Erwin Eckert, zunächst SPD-Mitglied, einer der wenigen Pfarrer, die religiöse Sozialisten waren, wurde nicht nur durch die SPD, sondern auch durch seine Landeskirche kritisch beäugt. Beide schmissen ihn raus, als er zur KPD wechselte. Die Kirche behauptete, er politisiere die Kirche. Das war nicht der Grund für den Rausschmiss. In der badischen Kirche waren gleichzeitig 56 Pfarrer in der NSDAP und blieben Pfarrer auch nach 1945. Sie politisierten die Kirche wohl nicht. Eckarts Vergehen war zu behaupten: „Die Kirche ist durch und durch politisiert, und zwar bürgerlich, kapitalistisch, nationalistisch.“ (vgl. Constanze Kraft, Ein unerledigter Fall, in jW 7.8.2023, die dort das Buch von F.-M. Balzer, Berufsverbot in der Kirche, Köln 2023 bespricht.) Nach 1945 wurde kein NSDAP-Pfarrer irgendwie belangt.

12. Totale Distanz fast aller Pfarrer zur „Unter- und unteren Mittelschicht“ ist durchweg zu konstatieren. Von der Lebenswirklichkeit der normalen Arbeiter*innen mit ihrem Elend in 1 oder 2- Zimmerwohnungen mit –zig Kindern hatten die Pfarrer keine Ahnung oder besser: Wollten es nicht wissen. Auch die Profiteure der elenden Situation der Arbeiter blieben unerwähnt, wurden nicht wahrgenommen oder nur auf Empfängen für die VIPs der Stadt oder der Kirchen. Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse wurden nicht analysiert und angetastet.

13. Die Kirchenfahnen in der Weimarer Republik bei nationalen Feiern waren nicht die Fahnen der Weimarer Republik: Schwarz-Rot-Gold. Im Kaiserreich wurde die Fahne des Kaiserreichs bei irgendwelchen – auch politischen – Feiertagen immer gehisst. Man schuf sich nun in der WR eine neue Fahne mit violettem Kreuz auf weißem Grund. Ab 1933/34 war wurde diese Fahne zugunsten der Hakenkreuzfahne wieder abgeschafft.

14, Weitgehend galt im Kirchenvolk: Wenn im Faschismus Pfarrer verhaftet wurden, hatten sie selbst schuld. Die Obrigkeit hatte Gesetze erlassen – wer dagegen verstieß, musste notwendigerweise bestraft werden.

Bei wenigen Pfarrern entstand (ähnlich wie bei Offizieren und anderen bürgerlichen und adligen Politikern) im Laufe der Zeit der Niederlagen der deutschen Armeen und der Bombardierungen deutscher Städte durch die Alliierten ein Anti-Hitlerismus, kein Antifaschismus. Der selbst inthronisierte Heilsbringer, österreichischer Katholik!, hatte vor allem als Kriegsführer enttäuscht und musste irgendwie abgesetzt werden. Das war kein antifaschistischer Widerstand, denn die prinzipiellen Ideologien und Ziele des Faschismus wurden nicht in Frage gestellt.

15. „Man“ muss fragen, was eigentlich gewesen wäre, wenn von allen Kanzeln z.B. die genannten Terrormaßnahmen gegen KPD, Gewerkschaften und SPD und die massive sofort nach der Machtübergabe einsetzende Entrechtung jüdischer Menschen von allen Kanzeln als Verstoß gegen die einfachsten Menschenrechte gegeißelt worden wäre. Spätestens am 1.4.1933 (Boykott jüdischer Geschäfte, Entlassung jüdischer Beamter, Berufsverbot für jüdische Ärzte, Apotheker usw.). Der „Judenboykott“ war ein terroristisches Experiment, weil auch die Nazis nicht wussten, wie es ausgehen würde:

Der „Juden-Boykott“ war ein internationaler und nationaler großangelegter Test:

1. Wie würde die Mehrheitsgesellschaft reagieren? Keine kritischen Reaktionen.

2. Wie würde „das Ausland“ reagieren. Da fast keine Reaktionen erfolgten, konnten die antijüdischen Maßnahmen verschärft werden.

3. Wie würden Kirchen, Parteien, Gewerkschaften… reagieren? Von den Kirchen durchaus zustimmende Reaktionen, die noch vorhandenen Parteien und Gewerkschaften protestierten nicht. Also konnten die Faschisten zu härteren Maßnahmen übergehen.

Das gilt auch für den 9.11.1938! Das Pogrom mit ca. 1300 in Brand gesteckten Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen und ca. 1000 Ermordeten und 30.000 in Konzentrationslager eingelieferten jüdischen Männern wurde verharmlosend „Reichskristallnacht“ genannt. Auf einer Bochumer Stele am Standort der Synagoge heißt es: „Öffentliche Proteste gegen die Zerstörung sind nicht bekannt geworden.“ Bochum war überall.

Und der 1.4. 1933 war eine großangelegte Erziehungsmaßnahme:

1. eine Aufforderung an jüdische Bürger, ihre Geschäfte „arisieren“ zu lassen und möglichst bald das Land zu verlassen und

2. an die „arischen“ Deutschen, bloß nicht mehr bei jüdischen Deutschen einzukaufen oder sonst wie Kontakt zu ihnen zu haben und

3. eine weitere Konditionierungsmaßnahme, sich an Gewalt gegen Mitbürger*innen zu gewöhnen.

16. Alles, was im Laufe der Zeit von den Faschisten als antijüdische Terrormaßnahmen durchgeführt wurde, konnte „man“ von evangelischer Seite aus nur als den Vorschlägen Martin Luthers zur „Behandlung“ der Juden entsprechend auffassen. Luther hat bis zum Verbrennen der Juden in ihren Synagogen die Vorschläge gemacht, die dann die Faschisten entsprechend Luthers Auftrag umsetzen konnten.

Bis 1945 machten große Teile der Ev. Kirche mit.

17. Die personelle Identität der Ev. Kirche bleibt nach 1945 gewahrt: Das war eigentlich in allen gesellschaftlichen Bereichen so: Am 16.11.23 lief mal wieder die ARD-Doku: „Mörder werden bevorzugt“ – es geht da um die Nachkriegsgeschichte des BND. Die, die die Morde z.T. befürworteten, befahlen oder auch nicht dagegen protestierten, sind genauso schuldig. Insgesamt begann eine ökonomische, personelle, ideologische, militärische Restauration der BRD. In allen Ämtern bis rauf zu Bundespräsidenten und –kanzlern tummelten sich Politiker*innen, die überzeugte Faschisten gewesen waren und z.T. in die schlimmsten Verbrechen verwickelt waren.

Die einflussreichen Bischöfe Dibelius (schon ein Verkünder der „Dolchstoßlegende“, dann der Regisseur und Pfarrer beim Festgottesdienst am 21.3.1933 zur Einführung Hitlers in die Kanzlerschaft, Tag von Potsdam: „Wir haben von Dr. Martin Luther gelernt, dass die Kirche der rechtmäßigen Gewalt nicht in den Arm fallen darf, wenn sie hart und rücksichtslos schaltet! Wenn der Staat seines Amtes waltet gegen die, die die Grundlagen der staatlichen Ordnungen untergraben, gegen vor allem die, die mit ätzendem und gemeinem Wort die Ehe zerstören, den Glauben verächtlich machen, den Tod des Vaterlandes begeifern, – dann walte er seines Amtes in Gottes Namen!“ (zit. Nach Theodor Immer, „ „… tönendes Erz und klingende Schelle“, in Junge Kirche 2/83, S. 67). Dibelius in der gleichen Predigt: „Mit Gott zu neuer Zukunft! In Millionen Herzen glüht die Hoffnung, dass diese Zukunft eine Zukunft neuer deutscher Freiheit werde! Noch liegen auf uns die Lasten der Vergangenheit! Noch seufzen Hunderttausende von Brüder und Schwestern, die Gott zu Gliedern eines freien Volkes berufen hat, unter fremder Knechtschaft!“). Dibelius wurde dann 1949 von dem bekennenden Antisemiten Bischof Theophil Wurm, der 1945 in Treysa zum 1. Ratsvorsitzender der gerade neu gegründeten Evangelischen Kirche in Deutschland (!!), zu seinem Nachfolger als Ratsvorsitzenden gemacht. Bischof Hanns Lilje, bekennender Nazi-Pfarrer bis 1945, bekommt einflussreiche Stellungen innerhalb der EKD, aus denen heraus er verkündet, dass der Einsatz der Atombombe gegen Bolschewisten mit dem christlichen Glauben vereinbar sei. Zum Krieg hatte er eine dezidierte Meinung; 1941 wurde seine Schrift „Der Krieg als geistige Leistung“, eine Kriegsverherrlichung, veröffentlicht.

Während alle Organisationen und Verbände von den Westalliierten auf ihre Mitschuld am Faschismus überprüft wurden, machten die evangelische und katholische Kirche als einzige Großorganisationen nicht nur einfach weiter, sondern wurden kollektiv als Widerstandsorganisationen anerkannt, die außerdem noch einen Opfermythos um sich herum aufbauten.

Bis heute ist die Evangelische Kirche unfähig, Kriege der BRD zu verurteilen. Wenn eine Bischöfin da nur sanfte Kritik dran übt (Margot Käßmann: In Afghanistan ist nicht alles gut) wird sie aus dem Dienst entfernt bzw. ist vorher zahlreichen Verleumdungen ausgesetzt. Ihre „Alkoholfahrt“ war sicher nicht das Hauptmotiv.

Im Stuttgarter Schuldbekenntnis und im Darmstädter Wort fehlen wichtige Teile der gerade erlebten Geschichte, anderes ist glatt gelogen. Das Schuldbekenntnis von Stuttgart wurde von außen initiiert: Der Ökumenische Rat der Kirche verlangte das für die Wiederaufnahme der Evangelischen Kirche in die Ökumene. Bei den Bischöfen und Pfarrern regte sich heftiger Widerspruch, irgendwelche Schuld anzuerkennen. Nach dem 8. Mai 1945 fühlten sie sich wie alle Deutschen als die Opfer, die ja auch am meisten gelitten hatten (jetzt kam der ermordete Bonhoeffer zu kirchlichen Ehren!) Bei der deutschen Bevölkerung, die ja nach dem 8. Mai fast insgesamt eigentlich im Widerstand sich befunden hatte, löste das Bekenntnis heftige Reaktionen aus. Niemand war Nazi gewesen und hatte da mitgemacht, oder doch nur, um Schlimmeres zu verhindern. Nur in 4 Landeskirchen von 28 wurde das Schuldbekenntnis, das sowieso eher rechtfertigend als Buße tuend zu verstehen ist, überhaupt akzeptiert. Eigentlich war man nicht schuldig, weil alle Untaten auf den Staat geschoben wurden. Hitler war es – und der ist tot. 12 Millionen Mitglieder der NSDAP sprachen sich frei. Gegen die – nie erhobene – Kollektivschuld wurde schärfstens protestiert.

Der Völkermord an den Juden wurde in Stuttgart und Darmstadt nicht erwähnt. Da u.a. Bischof Dibelius und Bischof Wurm als bekennende Antisemiten – andere Kirchenführer hatten vor 1945 ihren Antisemitismus nicht lauthals zu erkennen gegeben – bekannt waren, wundert das nicht.

Auch das Darmstädter Wort von 1947 enthielt kein Wort über die Shoah und den kirchlichen Antijudaismus. Aber es betonte, jede sozialrevolutionäre Veränderung (in Richtung demokratischen Sozialismus) verleugnet zu haben. Die Autoren waren Karl Barth und Joachim Iwand. Barth wollte man vorher in Stuttgart gar nicht dabei haben, war er doch einer der wenigen, die die Entrechtung der Juden ab 1933 schon verurteilten. Von der EKD wurde das Darmstädter Wort nicht übernommen, aber später doch vom Bund der Ev. Kirche in der DDR und von den Evangelischen Studentengemeinden (ESG) in Westdeutschland. Barth nannte „Monarchie, Adel, Armee, Großgrundbesitz, Großindustrie“ als Charakteristikum des sog. „christlichen Abendlands“. Also leben wir in Wahrheit in einer „feudalistischen und kapitalistische Klassengesellschaft“. Das nun mochte Iwand so konkret nicht ausdrücken, Konkreter als das Stuttgarter Schuldbekenntnis war das Darmstädter Wort und löste wieder heftige Empörung in den Gemeinden und Medien aus.

Als 1977 die ESGs zu einer internationalen Tagung über das Darmstädter Wort, nach Darmstadt einlud, distanzierte sich der Vorsitzende der EKG Wilckens und bezeichnete das Wort als Betriebsunfall der Nachkriegsgeschichte und Privatarbeit. (https://de.wikipedia.org/wiki/Darmst%C3%A4dter_Wort).

18. Die westlichen Alliierten fielen auf die Selbstdarstellungen der Kirchen nach 1945 einfach rein, aber sie hatten an den Kirchen auch ein massives Interesse. Die Kirchen als wichtige antikommunistische Ideologieproduzenten – und agenten mussten in den Kalten Krieg gegen die Sowjetunion eingebunden werden. Beide Kirchen machten gerne mit.

Die sogenannte Stunde Null wurde in den Kirchen zur Geburtsstunde von Lügen und Legenden über einen „Kirchenkampf“, den es in Wirklichkeit gar nicht gegeben hatte. Karl Barth, einer der Väter der BK, von der BK dann schon 1933 als politischer Mahner zurück in die Schweiz vertrieben, mahnte im Sommer 1945 die BK nach einem Treffen an, bloß nicht in die Rolle der „verkannten Antinazis, Bekenner, Helden und Beinahe-Märtyrer“ zu verfallen. (vgl. Prolingheuer, Kleine…, S. 95). Aber genau das taten die meisten Kirchenvertreter*innen.

19. Die BK, noch bestand sie ja, machte sich zum härtesten Gegner des „Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“. Alle Entnazifizierungsmaßnahmen wurden verurteilt, die Nürnberger Prozesse als Siegerjustiz angeprangert.

Dietrich Bonhoeffer, vor kurzem nicht in die Fürbittengebete der BK aufgenommen, wurde über Nacht zur repräsentativen Gallionsfigur der BK. Die Kirchengeschichte wurde den politisch-ökonomischen Nachkriegsbedürfnissen angepasst. Martin Niemöller, bis ins KZ deutschnational und militaristisch gesonnen, und wenige andere forderten ein wirkliches Schuldbekenntnis und nicht den Hinweis auf den einen oder anderen Fehler. Das verbindliche Schuldbekenntnis blieb aus, denn inzwischen führte die evangelischen Kirche eine neuen Kirchenkampf gegen die alliierten Gerichte zur Bestrafung von faschistischen Kriegsverbrechern (nulla poena sine lege).

Viele der ehemaligen Bekenner waren inzwischen führend in der CDU tätig und betrieben mit Macht die bald anstehende Remilitarisierung der bald gegründeten BRD. Es hatte sich ja inzwischen herausgesellt, dass die Faschisten mit ihren Hauptideologieelementen ganz richtig lagen: Antikommunismus, Antisozialismus, Antibolschewismus. Kirchenführer wie Otto Dibelius konnten so eine direkte Kontinuität von 1918 bis 1945ff bewirken.

Eigentlich müsste hier ein langer Extra-Beitrag folgen, welches Mitleid und welche Barmherzigkeit beide Kirchen nach 1945 mit den inhaftierten und zu verurteilenden oder verurteilten faschistischen Mördern empfanden. Es war ein regelrechter Überbietungswettkampf. Wer schafft die meisten Verbrecher raus aus Europa? Wer findet die absurdesten Begründungen dafür, dass die Mörder eigentlich die reinsten Unschuldslämmer waren? (vgl. Giefer/Giefer und Ernst Klee, s.u.)

20. Die CDU/CSU brachte mit Hilfe ihres Mitbegründers Dibelius die EKD auf den Remilitarisierungskurs, nachdem Heinemann und Niemöller als Quertreiber aus der Leitung der EKD entfernt worden waren.

Dibelius unterzeichnete 1957 eigenmächtig den westdeutschen Militärseelsorgevertrag mit Kriegsminister Strauß, sollten die Soldaten doch ein gutes Gewissen haben, wenn die Sowjetunion demnächst vom atheistisch-bolschewistischem Joch befreit wird.

21. Dürfen Massenvernichtungswaffen gegen die ganz Bösen eingesetzt werden? Die wenigen Anhänger*innen des Darmstädter Worts sagten „Nein!“, weite Teile der EKD sagten „Ja!“ „Lieber tot statt rot!“ wurde zur Formel.

Mit „Kampf dem Atomtod“ konnte man keine Wahlkämpfe gewinnen. SPD und Gewerkschaften verließen die Bewegung. Statt über den Atomkrieg wurde lieber von den Kirchen gegen die neuesten Schweinereien im deutschen Film laut protestiert. Die aus der Ferne zu sehende nackte Brust der Hildegard Knef im Film „Die Sünderin“ erregte nachhaltigen Ekel, lauten Protest, Entsetzen über so viele obszöne Scheußlichkeiten. 10 Jahre vorher lief der Film „Jud Süß“ und keiner in den Kirchen regte sich auf. Auch ordenübersäte Uniformen von Soldaten waren nicht obszön.

Persilscheine machten hunderttausendfach die Runde. Täter und Mittäter stellten sich gegenseitig ein antifaschistisches Zeugnis aus. Besonders beliebt waren Persilscheine von Geistlichen der größten selbsternannten Widerstandsorganisationen, der Kirchen. (https://de.wikipedia.org/wiki/Persilschein). (Vgl. Ernst Klee, Persilscheine und falsche Pässe, 1991). Kriegsverbrecher wie Günther Quandt brachten es auf 30 Persilscheine. (David de Jong, Braunes Erbe, 2022, S. 293), Friedrich Flick brachte es auf 445 Persilscheine, (aaO, S. 315)

Ansonsten befiel die Deutschen eine kollektive Amnesie: Niemand hat was gewusst oder gar mitgemacht. Den Deutschen musste eine kollektive Anästhesie verabreicht worden sein.

Die Kirchen, besonders die katholische mit einem „eigenen“ Staat, machten sich zu Fluchthelfern von Zehntausenden Nazi-Verbrechern. (vgl. Rena Giefer/ Thomas Giefer, Die Rattenlinie, 1991)

Tatsächlich: In allen empirischen Umfragen sagten die meisten Deutschen, dass der sog. Nationalsozialismus im Grunde genommen eine gute Sache war, nur – wie F.J. Degenhardt seinen Konsul Bolamus sagen lässt – „Auschwitz, das war ein bisschen zu viel“. Der Widerstand gegen die Besetzung Deutschlands funktionierte auch deswegen so lange, weil die Deutschen fürchteten, dass ihnen das gleiche Schicksal blühen könnte wie das von ihnen anderen zugefügte. Alle wussten Bescheid.

Selbst Adenauer war noch Anfang 1946 der Ansicht: “Nach meiner Meinung trägt das deutsche Volk [….] eine große Schuld an den Vorgängen in den Konzentrationslagern, da es sich „fast widerstandslos, ja zum Teil mit Begeisterung“ habe „gleichschalten lassen“ und auch von den Massenmorden habe es gewusst. (vgl. Dominik Rigoll, Staatsschutz in Westdeutschland, Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr, Göttingen 2013, S. 35)

S. 35). Was wäre gewesen, wenn alle Bischöfe an einem Tag von den Kanzeln die Nazis als Verbrecher verurteilt hätten?, fragt Adenauer. Es gab ca. 20.000 ev. Pfarrer und etwas weniger katholische Priester, und die Bindungen an die Kirche waren intensiver als heute)!

22. Eigentlich waren es dann die 68er, die die Fragen nach der Vergangenheit ihrer Väter und Mütter, ihrer Politiker*innen und Professor*innen massenwirksam stellten, die den Faschismus als eine Form bürgerlicher Herrschaft, begriffen. „Unter den Talaren, der Muff von 1000 Jahren,.“ In Heidelberg haben wir als Theologiestudent*innen versucht, an die Schriften unserer Lehrer*innen von vor 1945 zu kommen. Oft hieß es, sie stünden in einem „Giftschrank“ unter Verschluss. Unsere Professor*innen nannten nur ihre jüngsten Auflagen als Literatur, in denen dann ja auch wie so häufig stand: überarbeitet und ergänzt. Heidelberg war überall.

23. Panik und Entsetzen bei etablierten Kirchenvertreter*innen lösten dann die Celler Konferenzen im Herbst 1968 in Celle und Frühjahr 1969 in Bochum aus. Wir wollten (ich sage wir, weil ich dabei war) den Klassenkampf in die Kirchen tragen. Gleichzeitig begannen tatsächlich einige Theolog*innen sich in die Auseinandersetzungen nach dem 2. Juni 1968 für die massenmedial vor allem von der Springer-Presse verteufelten Studentenbewegung einzumischen: z.B. Helmut Gollwitzer, Bischof Scharf, Dorothee Sölle, Hans-Werner Bartsch. Gerade die Main-Stream-Theologie, die seit fast 2000 Jahren immer politisch-ideologisch herrschaftsstabilisierend politisch agierte, begann plötzlich die Politisierung der Theologie zu verurteilen.

Am 14.2. 1951 verbietet der Vatikan allen katholischen Christen, „Das Kapital“ auch nur in die Hand zu nehmen. Wer es aus Studienzwecken lesen will, braucht eine kirchliche Sondergenehmigung. (jW 11./12.2. 2006). Das betrifft die Katholiken. Als wir damals begannen, Marx zu lesen, wurden wir als Radikale verteufelt. Und bald kam der Radikalen-Erlass. Der wurde auch von der evangelischen Kirche wieder angewandt: Unser Bochumer Freund Rolf Trommershäuser war der erste, der wegen seiner Mitgliedschaft in der DKP seines Amtes als Vikar enthoben wurde.

Hinweise zur Erinnerungskultur Bochum. Im Bochumer Stadtteil Altenbochum gibt es ein Vierteil mit folgenden Straßennamen:

Schulenburgstraße

Graf von der Schulenburg (geb. 1902, hingerichtet 10.8.1944) ist eigentlich der Prototyp des Adligen, des hohen Beamten, des Offiziers, der lange begeistert mitmacht im Faschismus. Entscheidend ist dann, dass der Krieg nur verloren gehen kann, wenn Hitler weiter der oberste Führer auch des Militärs bleibt.

Also findet er zu vor allem adligen Kritikern Hitlers, ohne aber grundsätzlich den Faschismus in Frage zu stellen.

Witzlebenstr. und Stauffenberghöhe

Ganz kurz nur: auch zwei Militärs, die erst nach den großen Niederlagen – ihrer Offiziersehre verpflichtet – Hitler loswerden wollten. Stauffenberg ist praktisch zum legendären Narrativ für „Widerstand“ geworden.

Bonhoefferstr.:

Geb. 1906, ermordet im KZ Flossenbürg am 9.4.1945. Evangelischer Theologe, führende Persönlichkeit der „Bekennenden Kirche“ (BK). Einer wenigen der BK, die von vornherein gegen die Verfolgung von Juden war. Einige Worte zur BK:

Der einzige Antifaschist in der BK, der Ende 1944 nicht in die Fürbittengebete der BK gerade wegen seines Antifaschismus aufgenommen wurde. Verhaftet 5.4.1943. Einer der „Privatgefangenen“ Hitlers.

Wirmerstr.:

Benannt 1956 nach dem 1901 geborenen und am 8.9. 1944 in Berlin hingerichteten Zentrumspolitiker Joseph Wirmer. Rechtsanwalt. Schon während seiner Studentenzeit, Mitglied in katholischen Verbindungen, trat er gegen die meist monarchistisch gesinnten Studiengenossen als überzeugter Demokrat und Republikaner auf. Das brachte ihm den Beinamen „roter Wirmer“. Nach dem Studium Rechtanwalt in Berlin, dort dann auch Mitglied des Zentrums, dort auf dem linken Flügel, für Koalitionen mit der SPD.

Verteidigte in Berlin rassisch Verfolgte. Nicht belegt ist, dass er bei Kardinal Pacelli, damals in Berlin Botschafter des Vatikans, gegen das Konkordat von Sommer 1933 eintrat.

Seit 1936 Kontakte zu Jakob Kaiser und den gewerkschaftlichen Antifaschisten. Seit 1941 gehörte er zum sog. Goerdeler-Kreis. Er konnte Widerstände der meist sehr konservativen Adeligen und Großbürger gegen die Gewerkschaften abbauen helfen. In seinem Haus trafen sich oft die späteren „Verschwörer des 20.7.1944“. War von Anfang an für die Attentatspläne Stauffenbergs. Wirmer war eventuell nach geglücktem Attentat und neuer Regierung als Reichsjustizminister vorgesehen.

Vor dem Volksgerichtshof lieferte er sich kurze Wortduelle mit Roland Freisler: Freisler: „Sie werden bald zur Hölle fahren!“ Wirmer:“ Es wird mir ein Vergnügen sein, wenn sie bald nachkommen!“. 2 Stunden nach dem Todesurteil wurde Wirmer in Plötzensee mit einer Drahtschlinge gehängt/erdrosselt.

Wirmer gehört zu den 876 Katholiken, die in das „Martyriologum des 20. Jahrhunderts aufgenommen wurden. 411 davon aus der Zeit des Faschismus. In Berlin vor seinem ehemaligen Wohnhaus gibt es für ihn einen Stolperstein.

Straßennamen erzählen Geschichte und spiegeln gegenwärtige Politik wider. Die Leser*innen dieses Beitrags sollten die Straßennamen ihrer Wohnorte daraufhin untersuchen.

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