Braucht die Gesellschaft Religion?

Podiumsdiskussion 18.1.2012
Katholische Hochschulgemeinde

Irlenborn, Münch, Lammers

Foto: Gunnar Teriet

In Kooperation ist der ESG (Ev. Studiengemeinde)

Podium: Bernd Irlenborn, Rektor der Theologischen Fakultät Paderborn
MIZ Redakteur Christoph Lammers
Moderation: Esther Münch

Trotz eines kalten, regnerischen Abends nahmen ca. 50 Leute an dieser Podiumsdiskussion teil. Der ursprünglich geplante Moderator, Journalist Jochen Markett konnte nicht teilnehmen, dafür konnte Frau Esther Münch kurzfristig einspringen.

Prof. Irlenborn begann mit der Präsentation seiner These. Dazu verteilte er vorerst eine Synopsis seiner Ausgangsthesen. Dies fand ich sehr hilfreich.
Prof. Dr. Dr. Irlenborn stellte sich zunächst vor:  Inhaber des Lehrstuhls für Philosophiegeschichte und Theologische Propädeutik* der Theologischen Fakultät Paderborn. Gleich danach nannte er verschiedene Statistiken, wie z.B., dass 84% der westlichen Bevölkerung Deutschlands einer Religion angehören, während dies nur 26% im östlichen Teil sind (uns Atheisten liegen da ganz andere Statistiken vor…).  Es war mein Eindruck während des ganzen Abends, dass Prof. Irlenborn sehr dem Philosophen Herbert Schnädelbach (bekannt als der “fromme Atheist” – wenn das kein Oxymoron ist!) zugetan ist, zumal er auch sehr oft von dem Wort  “Vernunftbezug “ Gebrauch machte. Verschiedene Aussagen wie z.B. “ Unglaube ist Denkmal eines Verlustes” – oder, sinngemäß, die Unterdrückung der Gläubigen schneidet alles Gute in der Gesellschaft ab und endet in verbreiteter Menschenverachtung, fand ich schon sehr beachtlich. Weiterhin stellte er die Frage in den Raum, auf welcher weltanschaulichen Basis der Atheismus denn funktionieren sollte und wohin dieser (Atheismus) im letzten Ziel hinführen würde?  Ich empfand diese  Frage als regelrechte Drohung für eine vermeintliche Verrohung der Menschheit ohne Religion.

Er plädierte allerdings auch für einen liberalen Staat der “beide” Seiten vertreten solle, sowie für berechtigte Religionskritik, besonders was Intoleranz und Lernbereitschaft angeht. Er räumte ein, dass es in diesen Bereichen Raum für Korrektur gibt.

Prof. Irlenborn hat sich auch des Klischees bedient zu erwähnen wie die Vergötzung eines Führers, wie es z.B. in Nord Korea praktiziert wird, in Unmenschlichkeit endet. In diesem Zusammenhang wurde allerdings nicht erwähnt wie die Vergötzung eines anderen “Herrn”, dessen Existenz noch nie greifbar war, für  jahrhundertelang ausartende Unmenschlichkeit Verantwortung trug und noch trägt.

Dennoch zitierte er Hochheim (Meister Eckhard), dass Atheismus keine moralische Wertigkeit hat, verbunden mit der Frage woher denn der Atheismus solidarische Wertvorstellungen ableiten könne. (Dies war Anlass zu extensiver Diskussion im Anschluss)
Am Ende verlangte Prof. Irlenborn, dass auch der Unglaube rechenschaftspflichtig ist. Aus Zeitgründen war es an diesem Abend  leider nicht möglich diese Aussage infrage zu stellen.

Christoph Lammers,  MIZ Redaktuer und wissenschaftlicher Mitarbeiter der TU Dortmund und Mitinitiator der Initiative Religionsfrei im Revier (RIR) begann seine Präsentation mit einer sehr positivien Note: Eine religionsfreie Gesellschaft ist eine glückliche Gesellschaft.

Religionsfrei durch Aufklärung. Denn die  Trennung von Kirche und
Staat unterdrückt nicht die Religion. Beispiel dafür sind die USA, wo Kirche und Staat gesetzlich getrennt sind, dennoch Religion eine tragende Rolle im Leben der meisten Amerikaner spielt.

Ganz besonders verwerflich ist der Einfluss der christlichen Religion in Bezug auf den Kulturverlust, der vorrangig in den Jahren 400 bis 1700 stattfand. Anhand der Aufklärung ist seither die Kultur unabhängig von der Religion – zum großen Gewinn der Menschheit geworden. Er stellte die Frage: hat Kultur einen christlichen Ansatz? Er beantwortete diese Frage sogleich selbst, indem er feststellte, dass Kultur und Religion nicht zueinander passen.  Die Trennung der Kultur von der Religion hat ein immer rationaleres Weltbild geschaffen, selbst bei religiösen Menschen. Kultur geht also nicht verloren wenn die Religion an Einfluss verliert, ganz im Gegenteil.

Religion ist Privatsache. Es steht jedem frei das zu glauben was er möchte und diesen Glauben auch zu leben, jedoch nicht im Kollektiv, denn dies steht im Widerspruch zur pluralistischen Gesellschaft.  Eine kollektive Identität nimmt das Monopol der “Wahrheit” in Anspruch. Siehe Diktatoren in der Vergangenheit sowie Gegenwart.

Ein Beispiel, inwieweit Religion Privatsache sein sollte, fand ich besonders treffend:
Man stelle sich vor, dass eines Tages die Mitglieder beim BVB (Borussia Dortmund)  aus dem Verein austreten, einfach weil sie das Interesse an dem Verein und was er bietet, verloren haben.  In diesem Falle wäre es unvorstellbar, dass der Staat hier eingreifen würde um den Verein zu erhalten.
Genauso muss man sich das mit der staatlich organisierten Religion vorstellen.
Da stellen sich die Fragen: wieso muss der Staat die Kirchensteuer einziehen, die Kirchen subventionieren, Konkordatslehrstühle erlauben und unterstützen (mit 58,3 %) , den Gotteslästerungsparagraph im Gesetzbuch führen?  All dies ist mit einem freien Staat nicht vereinbar.
Weiterhin sind 8 von 11 Feiertagen in Deutschland christliche Feiertage mit bestimmten christlichen, gesetzlich geschützten  Auflagen, denen auch religionsfreie Menschen folgen müssen. Daher ist es notwendig religionsfreie Alternativen zu schaffen.

Kurioserweise haben Christen/Gläubige oft Angst vor Atheisten, jedoch keine Bedenken wenn es um christliche Fundamentalisten geht.

Die anschließenden Kommentare und Diskussionen bewegten sich hauptsächlich um den Anspruch der Christen, die Basis für Moral, Nächstenliebe, Empathie und Menschenrechte zu sein. Keine der Kommentare der Zuhörer oder Antworten der beiden Experten erschienen mir von aggressiver oder polemischer Natur zu sein.
Dennoch erhob sich eine Dame aus dem Publikum, kurz nachdem die Diskussion begann, und ging demonstrativ zum Ausgang und deklarierte, dass ihr die Atmosphäre in diesem Raum zu aggressiv wäre und sie sich daher entferne.

Es gab eine rege Teilnahme an den Diskussionen, die oft von den vielen religionsfreien Besuchern dominiert wurde.

*Eine Konsultation des Lexikons, i.e. Duden online erklärt Propädeutik etwa so:…vorbereitender Unterricht einer Kunst oder Wissenschaft. …  Die philosophische Propädeutik umfasst vor allen Dingen Logik..)

 

Gabi Bokeloh

 

Einen weiteren Bericht zum Abend gibt es hier: http://hpd.de/node/12742

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