„Du siehst mich“ – „Ja, Martin, ich sehe Dich so,
wie Adolf Hitler Dich gesehen und bewundert hat!“

Nicht, dass die Welt nicht schon viele überlebensgroße Luther-Darstellungen gesehen hätte – speziell im „Reformationsjahr 2017“, dem 500sten Jubiläum des Thesenanschlags an der Wittenberger Schlosskirche, aber diesmal sollte die Welt die Wahrheit über diesen Reformator erfahren, und zwar „die nackte Wahrheit“!
Der Name des fundamentalistischen Menschenhassers Martin Luther ist tatsächlich untrennbar verbunden mit unbarmherziger Intoleranz, cholerischer Frauenverachtung, alttestamentarischer Grausamkeit, Despotismus, Tyrannei, paranoidem Machtstreben und der Anstiftung zum Völkermord. Und was könnte einen solchen Charakter besser repräsentieren als der bei Luther stets präsente unerbittliche Hass auf die Juden? Aus diesem Grund prangte auf dem weit geöffneten Mantel des nackten Kirchenmanns ein schon 1962 geprägter Satz des Philosophen Karl Jaspers: „Luthers Ratschläge gegen die Juden hat Hitler genau ausgeführt.“ Das dieser Aussage zu Grunde liegende „7-Punkte-Programm“ des glühenden Antijudaisten Luther, veröffentlicht in seinem 1543 erschienenen und 2016 neu aufgelegten Buch „Von den Juden und ihren Lügen“ (Karl-Heinz Büchner, Bernd P. Kammermeier, Reinhold Schlotz und Robert Zwilling (Hrsg.): Martin Luther – Von den Juden und ihren Lügen; Aschaffenburg 2016), stand in verkürzter Form auf der Rückseite des Mantels, sodass jeder Kirchentagsbesucher sich selbst von den einzelnen Forderungen seines vermeintlichen Idols überzeugen können sollte.
In der Tat findet sich hier bis auf die unmittelbare Tötung in Gaskammern praktisch das gesamte Instrumentarium des nationalsozialistischen Holocausts.
Aber der Reihe nach, wir waren ja noch in Düsseldorf und diskutierten über die Darstellung oder auch Nicht-Darstellung des Luther’schen Gemechts. Schnell herrschte Einigkeit darüber, dass ein (sehr) kleines Pimmelchen nicht nur am besten geeignet sei, die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich zu lenken (um das Wort „Provokation“ an dieser Stelle erst einmal zu vermeiden), sondern auch der Realität näher kommen dürfte, als eine comicartig verfremdete bzw. völlig glatte Unterleibsregion. Immerhin sollte mit der „nackten Wahrheit“ ja einem nicht unbedeutenden Authentizitätsanspruch genügegetan werden.
Gesagt, getan! Der offenherzige Martin wurde fertiggestellt und sollte schon bald von den munteren Mannen der Giordano-Bruno-Stiftung, angeführt von David Farago, durch die christengesäumten Straßen des Wittenberger Kirchentagsspektakels 2017 (offizielles Motto: „Du siehst mich“) gezogen werden. Aber damit nicht genug. Ein kleines Häuflein von unbeugsamen Religionskritikern aus dem Ruhrgebiet (www.religionsfrei-im-revier.de) machte sich auf, die Aktion der Giordano-Bruno-Stiftung vor Ort tatkräftig zu unterstützen. Nur tatkräftig? Nein, nebenbei auch noch höchst stimmgewaltig! Mit Armin Schreiner trat tatsächlich der zu Unrecht glorifizierte Hassprediger leibhaftig vor der Schlosskirche in Erscheinung – nach fast 500 Jahren zum vermutlich ersten Mal wieder mit dem relativ vollständigen Repertoire seiner Tiraden gegen die Menschlichkeit. Vom Historiker Hartmann Schimpf aus Dutzenden Luther-Schriften, -Tischreden und anderen Primärquellen zusammengestellt, kam das beeindruckende Potential an Menschenverachtung deutlich zur Sprache, als dessen geistiger Vater vor dem staunenden Publikum lauthals zum Leben erweckt wurde. Sätze wie „So wenig ich Berge wegwälzen, mit den Vögeln fliegen, neue Sterne schaffen, mir die Nase abbeißen kann, so wenig kann ich die Unzucht lassen.“ (Martin Luther – Werke; Jenaer Ausgabe II, Jena 1588-1613, S. 215), „Will die Frau nicht, so komm‘ die Magd.“ (Martin Luther – Werke; Weimarer Ausgabe X/2, Weimar 1907, S. 290), „Die größte Ehre, die das Weib hat, ist allemal, dass die Männer durch sie geboren werden.“ (Johann Georg Walch – Gesamtausgabe: Martin Luther – Von der Ehe; Halle 1734, Bd. 22, Kap. 43, Par. 16), „Der Tod im Kindbett ist nichts weiter als ein Sterben im edlen Werk und Gehorsam Gottes. Ob sie sich aber auch müde und zuletzt tot tragen, das schadet nichts. Lass sie [sich] nur tot tragen, sie sind darum da.“ (Martin Luther – Werke; Weimarer Ausgabe X/2, Weimar 1907, S. 296) oder „Bei der Kindererziehung muss der Apfel neben der Rute liegen… [Ein toter Sohn ist besser als ein ungezogener.]“ (u.a. Frank Schumann – Luther to go! Ein trefflich Wort von Martin Luther; Berlin 2016) verfehlten ihre Wirkung auch im Jahre 2017 nicht. Dank der Aufklärung und der Vermittlung humanistischer Grundwerte nach dem Zweiten Weltkrieg werden sie heutzutage jedoch wesentlich distanzierter betrachtet. Neben Luthers Doppelmoral, seiner Verachtung für die Frauen und den doch recht eigenwilligen Erziehungszielen soll hier noch erwähnt werden, dass sich sein Hass auch auf viele weitere Bevölkerungsgruppen erstreckte, für die er sich darüber hinaus gezielt die barbarischsten Hinrichtungsarten seiner Zeit wünschte. So sollten Luthers Meinung nach behinderte Kinder ersäuft, Prostituierte gerädert oder geädert, vorgebliche Hexen selbstverständlich verbrannt und aufmüpfige Bauern mit dem Schwert erschlagen werden, um nur einige Beispiele zu nennen.
Die religiös interessierte, zum Teil jedoch klar indoktrinierte Zuhörerschaft ließ so gut wie keine möglichen Kommentare unausgesprochen. Von ehrlichem Interesse an einer bislang offensichtlich gänzlich unbekannten Seite Martin Luthers bis hin zu offener Ablehnung durch die eingefleischte Christenheit erlebten die gottlos durchaus glücklichen Aktivisten so ziemlich alles.
Die mit Abstand humorvollste Bemerkung aus dem Publikum bezog sich allerdings – wie sollte es auch anders sein – auf das kleine Anhängsel des großen Reformators. Nicht nur die Nacktheit des Kirchengranden an sich wurde also als Provokation empfunden, sondern gelegentlich auch – mit einem Augenzwinkern – die mangelnde Stattlichkeit des kleinen Martins.
Am anderen Ende der Humorskala angesiedelt, gab es erstaunlicherweise sogar Zustimmung zu Luthers antijudaistischen Thesen. Dies zum Glück nur von wenigen Besuchern, die sich dazu bei nachfolgenden Gesprächen allesamt auch als Holocaustleugner outeten und somit trotz bürgerlicher Fassade dem extrem rechten politischen Spektrum zuzuordnen waren. Dem Versuch von ganz rechts außen, dezidiert judenfeindliche Schriften im die Protestaktion begleitenden Infomaterial unterzubringen, wurde selbstverständlich von Seiten der Giordano-Bruno-Stiftung und der Initiative Religionsfrei im Revier unverzüglich entgegengetreten, was letztlich in einen offenen Schlagabtausch mündete, der erst mit dem Einschreiten der in diesen Tagen selbstredend überall präsenten polizeilichen Ordnungskräfte sein gutes Ende fand. Besonders erwähnt werden sollte an dieser Stelle der überaus beherzte Einsatz des üblicherweise nur mit dem Stift fechtenden Historikers Hartmann Schimpf, der zuletzt erschöpft, aber unversehrt zusehen durfte, wie die rechten Rabauken abgeführt wurden.
Allerdings war die Arbeit der religionsfreien Aktivisten – und natürlich der Aktivistinnen – damit noch lange nicht beendet. So hatten auch Doris und Arnold Evertz, Anja Schreiner und Gunnar Teriet alle Hände (und Münder) voll zu tun, das Wissen um die zutiefst menschenverachtenden Worte und Taten des Gründers des Protestantismus unter das (noch gläubige) Volk zu bringen und diesbezügliche Fragen kenntnisreich und ausführlich zu beantworten. OK, einige Besucher waren relativ kurz angebunden: „Ach, lasst mich doch mit eurem Scheiß in Ruhe. Ich weiß genau, wie Luther war und was er getan hat!“ Oder, wie es eine afrikanische Pilgergruppe etwas subtiler formulierte: „Ihr habt bösen Luther, wir haben guten Luther – End of story!“ Trotz allem entwickelten sich viele rege Gespräche mit Jung und Alt. Selbst einer der Organisatoren des Kirchentags gab sich persönlich ein Stelldichein und warf den wackeren Aktivisten vor, das „Gastrecht der Stadt Wittenberg“ durch die Aktion zu missbrauchen. Alle diskreditierenden Fakten aus dem Leben und Werk Martin Luthers seien der evangelischen Kirche und den Gläubigen doch schon hinlänglich bekannt. So betriebe die evangelische Kirche selber die fleißigste Aufarbeitung des unrühmlichen Themas, gerade jetzt im „Reformationsjahr“. Merkwürdig nur, dass ausgerechnet die Kirchentagsbesucher davon nichts zu wissen schienen. Ein Schelm, wer eher an millionenschwere Desinformations- bzw. Missionierungskampagnen als an ernsthafte Aufklärung denkt, wenn er das Wort „Kirche“ hört. Maximal wird von dort eine ominöse und schnell wieder vergessene „dunkle Seite“ der protestantischen Lichtgestalt eingeräumt.
Also wurde der exhibitionistische Luther auch am zweiten Tag der Veranstaltung weiter durch die Altstadt von Wittenberg gezogen, an seinem eigenen Denkmal und am Bildnis der „Judensau“ vorbei, das bis auf den heutigen Tag die Einstellung der Kirche zu ihren hebräischen Wurzeln dokumentiert – „die damalige Einstellung“, wie es so schön heißt. Überhaupt sei auch Luther „ein Kind seiner Zeit gewesen“, lautete der wohl häufigste Einwand, den die wahren Aufklärer gemeinhin zu hören bekamen. Die Antwort erfolgte prompt: „Luther war nicht ein Kind, sondern einer der führenden Meinungsbildner seiner Zeit. Hätte er sich nicht nur gegen den Abfluss von Finanzmitteln nach Rom (per „Ablasshandel“), sondern vielmehr für die Menschenrechte eingesetzt, wie dies z.B. sein Zeitgenosse, der Humanist Erasmus von Rotterdam tat, wären der Menschheit vielleicht viele religiös motivierte Kriege und wohl auch der Völkermord an den Juden erspart geblieben!“
Man kann getrost davon ausgehen, dass diese Worte bei den Meisten der Besucher auf taube Ohren gestoßen sind. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass einige Menschen zumindest zum Nachdenken darüber angeregt wurden, inwieweit ein unreflektierter Menschenhasser mit dem Hang zur Gewalttätigkeit in unserer pluralistischen und weitgehend toleranten Gesellschaft noch immer zum Vorbild taugt – und dies unabhängig von seiner Penisgröße!

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.