Werler „Erinnerungskultur“ heißt nicht nur Erinnern sondern auch Verdrängen und Vergessen!

Fünf Jahre Planung für ein paar Stolpersteine!
Was hat Martin Luther damit zu tun?

von Berit & Manfred Such, 10.04.’16

Wie die westfälische Wallfahrtsstadt Werl die Vergangenheit der Judenverfolgung in der Stadt aufarbeitet und dabei die eigene Schande, wie sie die Juden aus der Stadt vertrieben haben, ausblendet. Der Genozid an über 70 Menschen aus Werl, die auch namentlich bekannt sind und innerhalb weniger Jahre als Hexen und Zauberer in der Stadt ermordet wurden, scheint ins Vergessen zu geraten.
Im Dezember 2011 versprach der Werler Bürgermeister, für die Werler Opfer des Nazi-Terrors und für die in Werl denunzierten, verfolgten, gefolterten und schließlich in Werl bestialisch ermordeten Opfern der sogenannten Hexenverfolgung eine würdige Gedenkkultur zu schaffen.
Wie die Werler Presse berichtete, sei man, nun nach Jahren des Ringens, gravierend weitergekommen und das Vorgehen festgezurrt.

Im April 2016 ist es endlich soweit, dass, nach einer unwürdigen Debatte, wo und wie zu gedenken sei, welche Kosten für die Stadt (nämlich so gut wie keine) entstehen dürfen und wie man ein ermahnendes Erinnern an die Werler Schandsäule heraushalte, Stolpersteine „präsentiert“ werden, wie die Werler Presse es formuliert.

Herausgekommen sind bei dieser Diskussion 53 gesponserte „Stolpersteine“. Dreiundfünfzig graue Granitsteine mit den Namen der Opfer. Die historischen Hintergründe dieses Genozids an den Juden bleiben im Nebel des Verschweigens: Es waren die Nazis, eine anonyme Masse, die in Werl, in Deutschland, Europa und in der Welt wütete – mehr nicht? Sich davon zu distanzieren, fällt nicht schwer!

Vor diesem Hintergrund versammelten sich die Organisatoren und Koordinatoren, Sponsoren, Politiker und rund 100 Schüler bei einer ersten Verlegung der Stolpersteine. Weitere „koordinierte Aktionen“ sollen bis in den Spätsommer erfolgen.
Lässt man rund 100 Schüler dieser Aktion mal weg, so handelt es sich bei den Trägern der „Werler Gedenkkultur“, was das Gedenken an die Werler Juden betrifft, um eine „Handvoll“ Werler Persönlichkeiten, die sich um das Gedenken an die Werler Naziopfer seit Jahrzehnten verdient gemacht haben. Sie treffen sich u. a. jeweils am Jahrestag der „Reichspogromnacht“ am „Synagogenplatz“ zum Gedenken an die ermordeten Juden. Eine würdige Veranstaltung im (zu) kleinen Kreis, bei der Namen und Geschichten der Werler Juden vorgetragen werden. Leider trägt der Werler „Synagogenplatz“ nur wenig zur Würde einer solchen Veranstaltung bei. Es handelt sich um einen profanen Parkplatz, der das widerspiegelt, was man in der Wallfahrtsstadt Werl, wenn es eben nicht um christliche Wallfahrt geht, von würdigem Gedenken hält. Der „Synagogenplatz“ steht, so könnte man behaupten, seit über 70 Jahren für eine gescheiterte Aufarbeitung des Antisemitismus und seiner Ursachen in Werl.

Für den Kenntnisstand der bei der „Stolpersteinverlegung“ zur Teilnahme gebrachten Schüler (auch eine Schulklasse zählt zu den Sponsoren) dürften es ausschließlich die Nazis gewesen sein, die für Antisemitismus und dessen Folgen die Verantwortung tragen.
Dass das für die Ermordung der Juden zutrifft, steht außerhalb jeder Frage, ist aber in Bezug auf den Judenhass nur die halbe Wahrheit.
Es scheint, als seien Persönlichkeiten, die einer christlich geprägten Ideologie (das kann ein breites Feld sein) anhängen, daran interessiert, christlichen Antisemitismus ausblenden zu wollen.

Bei den „Stolpersteinaktivisten“ dürfte es sich im Lutherjahr 2017 um dieselben Personen handeln, die sich an noch zu planenden Veranstaltungen in Werl beteiligen könnten, um dem großen Reformator zu huldigen.
Sie sollten bedenken:
„Luther war ein großer Mann, ein Riese. Mit einem Ruck durchbrach er die Dämmerung. Er sah den Juden, wie wir ihn erst heute zu sehen beginnen.“ (Zitat: Adolf Hitler)
Der Herausgeber der Wochenzeitschrift „Der Stürmer“, Julius Streicher, berief sich in seiner Verteidigung bei den Nürnberger Kriegsverbrecher Prozessen auf Martin Luther und seine Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ in der Luther seinem Judenhass und seinem Rassismus freien Lauf ließ.
Streicher: „Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank…“
Dieses und die Analyse des Philosophen Karl Jaspers, der sagte: „Was Hitler getan, hat Luther geraten, mit Ausnahme der direkten Tötung durch Gaskammern.“, blenden die Stolpersteinaktivisten vermutlich nicht nur gegenüber den „rund 100 Schülern“ am Tag und den noch kommenden „Stolpersteintagen“ mit Sponsoren und Politikern aus.

Sind nun die grauen Steine die letzte große Aktion einer „Werler Erinnerungskultur“?
Was ist mit dem Versprechen von 2011, auch den namentlich bekannten über 70 Werler Opfern der „Hexenverfolgung“ ein würdiges Gedenken zu geben?
Jegliches in Steingemeißeltes und einen würdigen Platz in Werl findendes Erinnern kam über eine (peinliche) Diskussion nicht hinaus. Letzter Stand: Ein Raum, bei dem es sich eher um ein Hinterzimmer handeln dürfte, scheint im Werler Heimatmuseum der angemessene Ort zu sein, auf „die Zeit der Hexenverfolgungen“ hinzuweisen.
Ob dort auch die Geschichten, z. B. die Vernehmungs- und Folterprotokolle der Werler Opfer nacherzählt werden, dürfte eine Frage an die Organisatoren der „Werler Erinnerungskultur“ sein.
Man darf auch gespannt sein, wie dort den namentlich bekannten Werler Tätern, die zur Zeit noch mit Straßennahmen geehrt werden und eng mit der Werler Wallfahrt zur „Trösterin der Betrübten“ in Verbindung stehen, „Gedenken“ gewährt wird.
Das Utensil, Folter- und Todesurteile zu verkünden, hat mit dem Werler Gerichtsstuhl eigentlich seit der „Hexenverfolgung“ an Ort und Stelle in der Werler Probsteikirche und als Denkmal in der Stadt Ehrenplätze.

Bei dem Gedenken an die Werler Juden braucht es bei den „Gedenkaktivisten“ nur noch etwas Zeit, bis der letzte graue Stein verlegt sein wird. Bei den Werler „Hexen und Zauberern“ scheint es vermutlich schwieriger zu werden, die Verantwortlichen zu benennen. Dazu dürften der Schrecken, der Terror und die Vollstreckung der Todesurteile in Werl eine unvergleichbare Dimension in Werl haben. Was Mitte des 17. Jahrhunderts den Menschen in Werl geschah, übersteigt um ein Vielfaches, was mit der Vertreibung der Juden aus Werl den Menschen angetan wurde.

Den Anhängern christlicher Religionen, die nach wie vor in Werl immer noch eine Mehrheit haben, wird niemand unterstellen wollen, dass sie noch an Hexen glauben. In Glaubensfragen hat die Amtskirche immer wieder neue Dogmen verkündigt und den Gläubigen ermöglicht, sich anzupassen. Motto: Den Glauben erneuern!

Jedoch Ursachen der Hexenverfolgung in den christlichen Religionen zu suchen, scheint Christen wie bei der Judenverfolgung nach wie vor schwer zu fallen. Dass Christen in der Welt immer noch an Hexen glauben und sie ermorden, scheinen „aufgeklärte Christen“ verdrängen zu wollen oder nicht zur Kenntnis zu nehmen?

Gleichwohl wäre eine Berufung auf den großen Reformator auch in diesen Zusammenhängen nicht unbedingt auszuschließen. Martin Luther, der an die Existenz von Hexen geglaubt haben soll, konnte mit der Reformation jedenfalls zu diesem Thema keinen Schlussstrich ziehen.

Man darf gespannt sein, wie das versprochene würdige Gedenken zum Werler Hexenpogrom, falls es im Hinterzimmer des Werler Heimatmuseums ein Platz finden sollte, umgesetzt wird und wer die Täter waren – eine anonyme Masse, mit welcher Religion oder Ideologie? Man darf gespannt sein!
Sich von den Nazis zu distanzieren fällt leicht, bei Luther sieht das schon anders aus!

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