Aufsatz von Armin Schreiner

Grundsätzliche Überlegungen zur Erkenntnis – Armin Schreiner, 2014

Oft stellt sich in philosophischen oder religiösen Diskussionen die Frage, was wir über die Welt, in der wir leben, wissen oder wissen können. Dieser Aufsatz soll die Frage beantworten und gleichzeitig anwendbare Definitionen für einige Begriffe liefern, die in o.g. Diskussionen häufig uneinheitlich verwendet werden. Abschließend wird eine Aussage über den Sinn des Lebens möglich.

Die folgenden Ausführungen gelten für den Fall, dass eine objektive Realität außerhalb von uns selbst existiert. Sollte es z.B. mehrere Realitäten geben, noch dazu subjektiv unterschiedliche, frei von Überschneidungen, wäre jegliche Erkenntnis nur für Wenige bzw. den Einzelnen zugänglich. Sprich, das gesicherte Wissen eines Menschen wäre für den Anderen bloße Fiktion. Eine Diskussion darüber wäre beliebig und erübrigte sich somit.

Jede Erkenntnis über die wahre Beschaffenheit der Realität wird im Folgenden als Wissen bezeichnet. Auf Grund unserer Biologie werden alle Informationen, die zu Wissen führen können, im Normalfall über die 5 Sinne Tasten, Schmecken, Riechen, Hören und Sehen aufgenommen und dann in unserem Gehirn elektrisch weiter verarbeitet. Nun sind diese Informationen (ebenfalls auf Grund unserer Biologie) möglicherweise unvollständig und/oder fehlerhaft. Auch werden die Informationen im Gehirn evtl. falsch prozessiert. In Abwandlung eines berühmten Zitats des Philosophen Sokrates wissen wir daher, dass wir nichts wissen können! Auch diese Erkenntnis unserer Unwissenheit selbst ist nicht zwingend gesichert. Obwohl wir also kein Wissen haben können, basieren die meisten unserer Handlungen auf Annahmen über die Beschaffenheit der Realität, die zumindest subjektiv den Anschein von Wissen erwecken. Diese Annahmen sind offensichtlich verlässlich genug, um unser individuelles Leben und das Überleben unserer Art zu ermöglichen. Wie also kommen wir zu diesen Annahmen?

Im einfachsten Fall nutzen wir unsere Sinne für unmittelbare Erfahrungen und speichern diese in unserem Gedächtnis. Hier spricht man von Empirie. Wir hoffen in unserem zukünftigen Leben darauf, dass sich empirische Erfahrungen in ähnlichen Situationen wiederholen, und handeln unter Zuhilfenahme des Gedächtnisses so, dass unser Handeln mit der jeweils größtmöglichen Wahrscheinlichkeit zum gewünschtem Ergebnis führt. Empirische Informationen lassen sich mittels der Sprache (und anderen Kommunikationsformen) von Person zu Person weitergeben, wobei sowohl die Sprache an sich als auch die Weitergabe die Informationen verstümmeln bzw. verfälschen können. Die Schriftsprache erleichtert die Weitergabe der Informationen (speziell über mehrere Generationen hinweg) zwar deutlich, birgt aber zusätzlich weitere Fehlerquellen bzw. Möglichkeiten zur aktiven Verfälschung der Informationen.

Die (Natur-)Wissenschaft ist die Methode, empirische Daten aus möglichst vielen „erfahrbaren“ Zusammenhängen zu sammeln, um die Verlässlichkeit der Annahmen über die Beschaffenheit der Realität zu steigern. Gezielt werden hierzu Versuche durchgeführt, deren Ergebnisse reproduzierbar sein müssen, um in Theorien zu münden, die (zumindest augenscheinlich) Gesetzmäßigkeiten der Realität beschreiben. Diese Theorien, obwohl prinzipiell nicht beweis-, sondern nur widerlegbar (Popper), erlauben korrekte Aussagen über zukünftige Ereignisse (z.T. sogar dann, wenn das spezifische Geschehen noch niemals von einem Menschen erlebt wurde) und gelten bis zu ihrer Widerlegung durch spontane Ereignisse oder weitere gezielte Versuche. Auch wenn die Wissenschaft damit kein wirkliches Wissen schafft (s.o.), sind die mit ihrer Hilfe gewonnenen Annahmen z.T. so verlässlich (z.B. die „Naturgesetze“), dass nur wenige Menschen sie ernsthaft anzweifeln.

Wie bereits angesprochen können empirische Erfahrungen mit gewissen Einschränkungen von Person zu Person selbst über relativ lange Zeiträume hinweg weitergegeben werden. Dabei ist diese Weitergabe die einzige Möglichkeit, Menschen mit Informationen über die Beschaffenheit der Realität zu versorgen, die nicht Bestandteil ihres eigenen Erfahrungsschatzes sind. Ein Mensch kommt theoretisch umso besser in seinem Leben zurecht, je akkurater die weitergegebenen Informationen sind. Da der einzelne Mensch unmöglich alle an ihn weitergegebenen Informationen selbst überprüfen kann, muss er dem Wahrheitsgehalt von Informationen zu einem relativ hohen Grad ungeprüft vertrauen. Synonym findet man im Deutschen häufig das Verb „glauben“, das in diesem Aufsatz jedoch mit anderer Bedeutung nur im religiösen Kontext verwendet wird. Grundsätzlich könnte gelten, dass eine Information mit abnehmendem Alter ihrer Quelle(n) vertrauenswürdiger (syn. „glaubwürdiger“) wird, da sich im Laufe der Zeit möglicherweise (kumulativ) Fehler einschleichen; oder die Vertrauenswürdigkeit einer Information könnte mit der Anzahl ihrer Quellen steigen…. Letzteres gälte jedoch nur dann, wenn die Quellen selbst vertrauenswürdig wären.

Hinter allen Informationsquellen stehen letztlich Menschen, die wie bereits erwähnt mit vielen biologisch bedingten Unzulänglichkeiten behaftet sind und darüber hinaus häufig Interessen verfolgen, die über die lautere Weitergabe empirischer Informationen hinausgehen. Die Betrachtung der Triebfedern zielgerichteten menschlichen Handelns (Egoismus, Machtstreben etc.) führte an dieser Stelle zu weit. Evolutions- und Verhaltensbiologen, Anthropologen sowie Psychologen haben ihre Ansichten zu diesem Thema bereits ausführlich geäußert. Fest steht, dass der bloße Wunsch, wie auch immer entstanden, eine Information sei wahr oder Andere hielten sie für wahr, nichts über ihren tatsächlichen Wahrheitsgehalt aussagt. Auch die Wissenschaft wird von Menschen betrieben und ist daher mit Fehlern behaftet, allerdings verschreiben sich Wissenschaftler (wenn sie wissenschaftlich arbeiten) alleinig der Sammlung empirischer Daten und folgern deren (mögliche) Konsequenzen. Ein derartiger Fokus ist prinzipiell geeignet, vertrauenswürdige Informationen zu generieren.

Noch einmal: Die Wissenschaft schafft dennoch kein Wissen. Jede noch so verlässliche wissenschaftliche Theorie kann nicht bewiesen werden (Popper). Wird sie widerlegt, heißt das noch nicht einmal, dass sie nicht trotzdem gilt, und zwar möglicherweise ab dem Zeitpunkt unmittelbar nach ihrer Widerlegung. Selbstverständlich müssen dazu nun wieder empirische Daten gesammelt werden…. Was man mit Hilfe der Wissenschaft kann, ist Aussagen treffen, die in der Praxis hilfreich sind, weil sie auf der Empirie basieren.

Aussagen, die sich der Empirie entziehen (z.B. über die ferne Zukunft oder die Existenz von Göttern), werden häufig als Erkenntnistheorien bezeichnet. Menschen, die solche Aussagen treffen bzw. eine Erkenntnistheorie als wahr erachten, sind per Definition religiös oder gläubig. Der Glaube oder das Glauben sollte zur besseren Verständlichkeit nur in dieser Bedeutung verwendet werden.

Gläubige Menschen machen oft geltend, dass sie dort nach Wissen suchen bzw. es dort gefunden haben, wo die Wissenschaft ohnehin keine Aussagen macht. Übersehen wird dabei, dass auf der Grundlage der Empirie dort derzeit keine Aussagen (evtl. nicht einmal Spekulationen) möglich sind. Was spräche also dagegen, dies einfach zu akzeptieren? Menschen, die das tun (und auch anerkennen, dass es kein Wissen geben kann), nennt man Agnostiker. Die Argumentation gläubiger Menschen hingegen erinnert an das humoristische Zitat: „Wat man nich‘ selber weiß, dat muss man sich erklären“ (Tegtmeier). Als Grundlage solcher „Erklärungen“ werden z.B. persönliche (nicht reproduzierbare) Erlebnisse oder „heilige“ Schriften angeführt, deren Entstehung nicht hinterfragt wird. Obwohl die Geschichtswissenschaft nicht im selben Maße wie die Naturwissenschaft die Möglichkeit hat, ihre Theorien (zu historischen Ereignissen) in Versuchen mit reproduzierbaren Ergebnissen zu testen, hat sie geeignete Verfahren entwickelt, um die Vertrauenswürdigkeit historischer Quellen zu beurteilen. An die Grenzen der Empirie ist die Geschichtswissenschaft dabei noch nicht gestoßen.

Abschließend noch ein Blick auf die Vergangenheit aus naturwissenschaftlicher Sicht: Der Urknall und die nachfolgende Entwicklung unseres Universums bis hin zur Evolution des Menschen sind durch Theorien, die derzeit Bestand haben, schlüssig und relativ lückenlos belegt. Menschen, die das bestreiten (häufig aus religiösen Gründen), werfen lediglich Nebelkerzen. Was vor dem Urknall stattfand (wobei die Zeitangabe „vor“ in Bezug auf die Entstehung von Zeit und Raum zwingend unzutreffend ist) bzw. was ihn ausgelöst hat, gehört allerdings zu den Fragen, die derzeit nicht beantwortbar sind. Da wir nicht wissen und nicht einmal auf wissenschaftlicher Basis spekulieren können, was den Anstoß für unsere Existenz gegeben hat und wie dieser erfolgte, erübrigt sich die Frage nach dem Warum. Ein Zweck unserer Existenz, also ein Sinn in finaler Hinsicht, ist nicht erkennbar. Der Sinn des Lebens kann demnach nur darin bestehen, gemäß des Gesellschaftsvertrags (der im Übrigen bereits in der biblischen Geschichte von der Bergpredigt angedeutet wird, bei Kant kategorischer Imperativ heißt und essenzieller Bestandteil der Ideologie des Humanismus ist) seinen Mitevolventen und somit sich selbst ein möglichst schönes und erfülltes Leben zu ermöglichen!

PS: Im Humanismus verankert ist darüber hinaus unsere Verantwortung für zukünftige Generationen. Diese ergibt sich zum Einen aus der wissenschaftlich hergeleiteten Annahme, dass die Welt nach unserem (ebenfalls wissenschaftlich prognostizierten) Ableben überhaupt weiterhin existiert (und es zukünftige Generationen gibt, für die ein schönes und erfülltes Leben selbstverständlich auch ein erstrebenswertes Ziel ist), zum Anderen kann aus agnostischer Sicht natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass wir selbst zu irgendeinem Zeitpunkt von solch humanistischer Vorsorge profitierten. Damit meine ich nicht die schlichte (wissenschaftlich derzeit nicht haltbare) Möglichkeit, dass bestimmte religiöse Vorstellungen von einer sog. „Wiedergeburt“ zuträfen, sondern etwas Grundsätzlicheres: Wenn wir getreu dem Motto „Ich denke, also bin ich“ (Descartes) unsere eigene menschliche Existenz nicht anzweifelten, wäre eines der wenigen Dinge, die wir wüssten, die Tatsache, dass diese Existenz irgendwie entstanden ist. Warum also sollte dieser Mechanismus nicht zweimal (oder sogar mehrfach) greifen und Menschen entstehen lassen, die wir wieder für uns selbst halten (wohl wieder ohne Erinnerungen an frühere Existenzen, falls der besagte Mechanismus überhaupt eine zeitliche Dimension haben sollte)? Dieser Gedanke böte sogar einen gewissen Trost für Jene, die sich nicht damit abfinden mögen, dass mit ihrem Tod für sie alles vorbei sein soll, und deshalb religiösen Vorstellungen anhängen.

Englisch: Basic considerations on cognition

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