Der Schulterschluss des Vatikans
mit dem italienischen und deutschen Faschismus

Referat von Hartmann Schimpf
auf der Tagung „Der Hitler-Vatikan-Pakt“ am 13. Juli 2013 in Bochum

1. In einer Woche jährt sich zum 80. Mal der Tag, an dem in Rom das Reichskonkordat zwischen Hitler und Papst Pius XI. geschlossen wurde. Die Wiederkehr des 20. Juli 1933 ist für Deutschland und den Vatikanstaat heute kein Anlass zur Feier. Dieser Tag  ist es nicht, weil der Vertrag an den unheilvollen Konsens  von katholischer Kirche und nationalsozialistischem Staat erinnert. Mag sein, dass die Erinnerung an diesen Tag den aktuellen Prozess der Seligsprechung von Papst Pius XII. stört, der 1933 als Nuntius das Konkordat maßgeblich mit aushandelte und schließlich im Auftrage des Heiligen Stuhls unterzeichnete. Für uns Versammelte ist der Tag ein Rückblick, der uns Kenntnisse und Einsichten ermöglicht, dank derer wir das Verhältnis „Staat –katholische Kirche“ von damals bis in die Gegenwart hinein vielleicht besser begreifen und beurteilen können.

Die Gruppe „Religionsfrei im Revier“ (RIR) lädt sie herzlich ein zu der heutigen Informationsveranstaltung. Eine ihrer Aktivitäten ist die Ausstellung über das Reichskonkordat, zu der ich inhaltlich einiges sagen möchte. Sie werden vielleicht erstaunt sein, dass wir an einem solchen Tage auch die evangelische Kirche Deutschlands mit einbeziehen in das Thema. Wir tun es, weil auch hier faschistischer Staat und eine weitere christliche Amtskirche  in unheilvoller Weise den Konsens fanden. Sie werden sich vielleicht auch fragen, was die Einbeziehung des damaligen Italiens mit dem Reichskonkordat zu tun hat. Als Antwort genüge hier der lapidare Hinweis: „Viel Wege führen nach Rom“.

2. In meinem deutschen Geschichtsbuch für Gymnasiasten in Nordrhein-Westfalen, herausgegeben 1963, konnte ich als Schüler über das Verhältnis der Katholischen Kirche zum nationalsozialistischen Staat und über das Reichskonkordat Folgendes lesen:

Die beiden großen christlichen Konfessionen, vor allem aber die katholische Kirche, waren Hitler vor der Machtübernahme reserviert oder offen ablehnend begegnet. Die Behauptung des Parteiprogramms, die Partei „stehe auf dem Boden des positiven Christentums“, durchschaute man überwiegend als reine Deklamation. Die katholische Kirche hatte sogar die Parteimitgliedschaft unter Kirchenstrafe gestellt. Nach der Machtergreifung schien Hitlers politisches Verhalten gegenüber den christlichen Kirchen diese Einstellung zunächst nicht mehr notwendig zu machen. Mit der katholischen Kirche schloss er schon im Juli 1933 ein Reichskonkordat, in der er der Kirche u.a. das Recht auf eigene katholische Jugendorganisationen und auf eine katholische Bekenntnisschule zusicherte. Aber gleich nach Abschluss ließ er katholische Jugendführer in Berlin verhaften. Wenig später suchte er durch Skandalprozesse gegen katholische Geistliche das Vertrauen der katholischen Bevölkerung gegenüber ihrer Kirche zu erschüttern. (1)

Meine erste Reaktion damals war: „Arme katholische Kirche“! Und ich ordnete den Papst und die ganze übrige Hierarchie mitsamt den katholischen Laien spontan und unterschiedslos ein in die lange Reihe der Opfer des Faschismus. Ich sagte mir damals: „Hitler hatte skrupellos den Vertrag mit der Kirche gebrochen, wobei die ehrwürdige religiöse Großinstitution aufgrund der  ihr eigenen Gutgläubigkeit und Nächstenliebe sich hatte täuschen lassen.“  Erst  später wurde mir bewusst, dass die Kirche gar nicht so naiv sein konnte, hatte sie doch den Schwindel des „positiven Christentums“ durchschaut. Die Frage, durch welches Verhalten der NSDAP das Verbot der Parteimitgliedschaft für Katholiken überflüssig geworden war, wurde von den Buchverfassern nicht beantwortet. Hatte der geläuterte Reichskanzler plötzlich Kreide gefressen? Hatte er das NSDAP-Parteiprogramm geändert oder hatte er „Mein Kampf“ umgeschrieben? Und warum dann dieser Rückfall Hitlers, der die Kirche wieder so leiden ließ? Eine Kirche, die doch nicht so naiv sein konnte. Die Frage trieb mich um. Sie beschäftigt mich noch heute.

Verehrte Anwesende, Sie sind oder waren doch alle einmal Schüler. Welche Geschichtsbücher hatten oder haben Sie, und welche Geschichtsbilder wurden Ihnen zu unseren Themen vermittelt? Vielleicht erinnern Sie sich. Wir haben am Ende der Veranstaltung noch Gelegenheit, darüber zu sprechen.

Deutliche Risse erhielt die im Geschichtsbuch der Adenauer-Ära vermittelte Darstellung erst in der Zeit der Studentenbewegung 1968, die das Autoritäre schlechthin in Frage stellte und die sich der Suche  nach den Urhebern der sogenannten „Machtergreifung“  1933 nicht entzog. Die Analysen der „68er“ bezogen sich dabei jedoch stark auf die Politik und die Wirtschaft. Die Kirchen dagegen standen eher am Rande des Gegenwindes.

Diercke Weltatlas. Ausgabe 2. Hrsg. Ulf Zahn. 4. aktualisierte Ausgabe. Braunschweig 1996. Kapitel Erde: Religionen. Seite 184.

3. Dabei ist vor allem die Katholische Kirche international keine zu vernachlässigende Größe  (2). In den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts war sie die Organisation mit der größten Anhängerschaft einer Konfession weltweit. „Als der „ständisch und hierarchisch gegliederte Leib Christi“ war sie für Millionen eine moralische Instanz, die in ihrem Selbstverständnis die soziale Botschaft von Jesus Christus verwaltete. Als Leiter der Institution und als Inhaber der reinen Lehre verlangte der unfehlbare Papst von den Gläubigen bedingungslosen Gehorsam. Zur Wahrung seiner Interessen schloss der Vatikan, selbst Staat, Konkordate mit anderen Staaten, so auch das Reichskonkordat 1933. Wir werden sehen, dass dieses Konkordat in mancherlei Hinsicht eine Blaupause der Lateranverträge ist, die Papst Pius XI. 1929 mit Mussolini schloss.

Benito Mussolini, faschistischer Diktator (Duce) Italiens.

Kardinal Achille Ratti, der spätere Papst Pius XI (1922 - 1937)

4. Rom liegt in Italien, und in diesem Land gelangte der Faschismus bekanntlich zum ersten Male in Europa an die Macht. Weniger gestellt wird  freilich hierzulande die Frage, welche Rolle bei der Machtübertragung an Mussolini  die katholische Kirche spielte. Die Ausstellung zeigt, wie die von der „römischen Frage“ sich gequält fühlende Kirche auseinander setzte mit nationalen, liberalen, später auch sozialistischen und kommunistischen Ideen und realen Parteien. Sie zeigt, wie in der Zeit nach 1918 die wirtschaftlichen Folgelasten des Krieges auch die politischen Auseinandersetzungen verschärfte.
Gegen die Linke, die teilweise das Eigentum der Großindustrie und des Großgrundbesitzes in Frage stellte, wandte sich das konservative Establishment, das seine politische und wirtschaftliche Macht bewahren wollte. Zum konservativen Establishment gehörte auch der Vatikan mit seinem riesigen beweglichem und unbeweglichem Vermögen.

Revolutionäre Agitation. Selbstverteidigung der Arbeiter in den Fiatwerken von Turin, die die Streikenden besetzt halten.

Auf der Suche nach neuen Verbündeten bot sich der ehemalige Sozialist Mussolini  an, der sich mit dem Terror seiner rechtsextremistischen Schwarzhemden im Kampf gegen Landbeschlagnahmungen, Fabrikbesetzungen, Generalstreik und Kritik im Parlament unentbehrlich machte.

Parlamentswahlen in Italien 1921. Das Wahlergebnis zeigt die relative Schwäche der Faschisten (nur 35 Abgeordnete) – ein Jahr vor dem „Marsch auf Rom“. Die absolute Mehrheit hat die traditionelle konservative Rechte (240 Abgeordnete), die sich unter Giolitti in der Illusion wiegt, den rechtsextremen Koalitionspartner zähmen zu können. Zweitstärkste Partei sind die Sozialisten (112 Abgeordnete), die sich jedoch mit den leninistisch orientierten Kommunisten (16 Abgeordnete) überworfen haben. Drittstärkste Partei ist die katholische Partei der Popularen, geführt von Don Sturzo. Ein von ihm favorisiertes Bündnis mit den Sozialisten wird vom Vatikan verworfen. Die faschistenfeindlichen Popularen verlieren die Unterstützung der religiösen Hierarchie und werden vom Papst Pius XI. zur Auflösung veranlasst, der in Mussolini den „Mann der Vorsehung“ sieht.

Die sehr mäßigen Erfolge des Faschistenführers bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus hinderten jedoch nicht nachhaltig den Bedeutungszuwachs der Partei, die von konservativen Großspendern aus der Wirtschaft gefördert wurde. Moralisch unterstützt wurde Mussolini auch von Kardinal Achille Ratti, dem späteren Papst Pius  XI., der sich über Mussolini äußerte wie folgt:

Mussolini macht schnelle Fortschritte und wird mit elementarer Kraft alles niederringen, was ihm in den Weg kommt. Mussolini ist ein wundervoller Mann. Hören Sie mich? Ein wundervoller Mann! Er ist ein Neubekehrter. Er kommt von der äußersten Linken und hat den antreibenden Eifer des Novizen. … Die Zukunft gehört ihm.“ (2)

Revolutionäre. Streik mit Fabrikbesetzung in Turin (1920)

Fotomontage von John Heartfield (1928)

Pius XI. bezeichnete den zukünftigen Duce als „Mann der Vorsehung“ (3). In einer Fotomontage analysierte der deutsche Graphiker John Heartfield 1928 die Konstellation der rechtsextremistischen Kräfte in Italien. Dem „Gesicht des Faschismus“ zugrunde gelegt ist ein Porträt Mussolinis, das von einem Totenkopf übertüncht ist. Die ermordeten Leiber (rechts unten)  sind zurückzuführen auf die Zusammenarbeit der Trias von Kapital (links oben), katholischer Kirche (rechts oben) und faschistischen Squadristen (links unten), wobei letztere das Handwerk des Tötens übernehmen.

Karikatur von Scalarini in der sozialistischen Zeitung „Avanti!“ vom 24.12.1920.

Ähnlich hatte schon der antifaschistische Karikaturist Scarlatini das Zusammenwirken der rechten Kräfte in der sozialistischen Zeitung „Avanti!“ vom 24.12. 1920 dargestellt.  Der Krieg (vielleicht auch Bürgerkrieg?), dargestellt als gespornter Todbringer, bettet behutsam sein liebes mordendes Kind, den Faschismus, auf das weiche Lager der Krippe des Kapitalismus. Hafer für die Presse (im Sack links unten) soll diese zwecks positiver Berichterstattung bestechen.  Die Krippe, die an den Stall von Bethlehem in der Weihnachtszeit erinnert, assoziiert den Beistand der Kirche für den Faschismus. – Der
oppositionelle Zeichner Scarlatini wurde übrigens später wegen seines nichtkonformistischen Denkens von Mussolini in das Lager für  politische Häftlinge auf der Insel Lipari inhaftiert.

Das italienische Konzentrationslager für politische Gegner auf der Insel Lipari.

Mussolini in der Mitte, in Zivil, während des Marsches auf Rom am 30.10.1922. Am 01.August 1922 verkündeten die Gewerkschaften einen Generalstreik, um gegen die Brutalität der Faschisten zu protestieren. Diese brachen den Streik mit Gewalt. Mussolini begriff, dass er die Macht ergreifen könnte: er drohte mit einem „Marsch der Faschisten auf Rom“, wenn die Nationalversammlung nicht aufgelöst würde.

Auf demokratischem Wege gelangte Mussolini nicht an die Macht. Er erreichte sein Ziel durch einen Putsch, der spektakulär als „Marsch auf Rom“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist. In Wirklichkeit war der Regierungswechsel mit dem König und dem konservativem Ministerium schon ausgehandelt, bevor der Faschistenführer  werbewirksam die Straße betrat. Der Generalstreik der Gewerkschaften wurde von ihm niedergeschlagen, und das Parlament wurde aufgelöst. Der Terror der Squadristen hielt an. Selbst als Mussolini öffentlich die Verantwortung für den Mord an seinem großen Gegenspieler, den Sozialistenführer Matteotti, übernehmen musste und Mussolini auf dem Weg zur vollen Diktatur im Parlament wirksam aufgehalten wurde, stand der Heilige Stuhl hinter dem Duce. Berühmt sind die Worte von Pius XI.: „Mussolini wurde uns von der  Vorsehung gesandt.“ (4).

Giacomo Matteotti (1885 - 1924). Abgeordneter der Nationalversammlung und Generalsekretär der Sozialistischen Partei Italiens im Jahre 1922. Er klagte in der Nationalversammlung am 30. Mai 1924 die Faschisten wegen ihrer Gewalttätigkeiten an. Daraufhin wurde er von Squadristen entführt und am 10. Juni 1924 ermordet.

Der Papst hatte dem Duce zuvor entscheidend den Weg geebnet, indem er für die Auflösung der 1919 gegründeten Partito Populare Italiano (PPI) sorgte. Die PPI war eine katholische Konfessionspartei, die von dem katholischen Priester Luigi Sturzo gegründet worden war  und in Politik und Gesellschaft  Mitbestimmung anstrebte – ähnlich wie ihr Vorbild, die katholische Partei des Zentrums in Deutschland. Der katholische Priester  Sturzo strebte ein Bündnis mit dem Sozialisten Matteotti an, um Mussolini den Weg zur Diktatur zu vereiteln. Der Papst aber, dem die parlamentarischen Emanzipationsversuche der PPI widerstrebten, setzte auf Mussolini, den er nicht preisgab, sondern förderte bis hin zur Errichtung der vollen Diktatur im Jahre 1926. Als Gegenleistung für die päpstliche Hilfe revanchierte sich Mussolini in den Lateranverträgen, die er 1929 mit Pius XI. schloss.

Luigi Sturzo (1871-1959), Priester und Vorsitzender der katholischen Partei Partito Populare Italiano (PPI), die 1922 nicht ohne Drängen des Papstes aufgelöst wurde.

5. Hier fand die klerofaschistische Allianz ihren sichtbarsten Ausdruck. Die Lateranverträge enthielten einen Staatsvertrag, das eigentliche Konkordat und ein Finanzabkommen. Die wesentlichen Bestimmungen werden im Folgenden unter dem Aspekt des Vorteils für den jeweiligen Vertragspartner getrennt ausgewiesen.

Das Papsttum erhält:
a. volle Souveränität, die nunmehr auch vom italienischen Staat abgesichert ist. Der Vatikan kann unbegrenzt Verträge mit anderen Staaten schließen, die rechtsgültig sind. Die päpstlichen Nuntien gelten als international anerkannte Verhandlungspartner, gleichberechtigt mit den Botschaften anderer Länder;
b. ein eigenes Territorium (den 44 ha großen Vatikanstaat) in Rom im Rang eines unabhängigen Staates; zusätzlich die wichtigsten römischen Basiliken und kirchlichen Paläste sowie als exterritoriales Gebiet den Sommersitz in Castel Gandolfo;
c. Die Unabhängigkeit und Souveränität des Heiligen Stuhles wird auch als nichtstaatliches Völkerrechtssubjekt garantiert.
d. Der Katholizismus wird einzige Staatsreligion. Damit wird der Religionsunterricht obligatorisch. Die kirchliche Ehe wird der bürgerlichen Ehe ebenbürtig. Die Scheidung ist unmöglich.
e. Die Person des Papstes ist heilig und unverletzlich. Öffentliche Beschimpfungen der Person des Papstes in Wort, Tat oder Schrift werden wie Beleidigungen der königlichen Majestät bestraft. Antikirchliche Bücher, Zeitungen und Filme unterliegen der Zensur.
f. Die Eigentumsverluste des Jahres 1870 werden kompensiert durch eine Entschädigung in Höhe von 1,75 Milliarden Lire (im Jahre 1929 sind das 90 Millionen Dollar), die der italienische Staat an die Kurie zahlt. .
g. Der Staat verpflichtet sich, seine ganze Gesetzgebung mit dem kirchlichen Recht abzustimmen.

Die Unterzeichnung der Lateran-Verträge 1929. Mussolini (rechts unten) und Kardinal de Gasparri (links neben Mussolini) unterzeichnen das Konkordat.

Der italienische Staat, vertreten von Mussolini, erhält:
a. den Verzicht des Papsttums auf die Gebiete des alten (flächenmäßig weit größeren) Kirchenstaates und die Anerkennung Roms als italienischen Regierungssitz.
b. Der Papst verpflichtet sich, bei internationalen Streitigkeiten nicht parteiisch, sondern nur schlichtend einzugreifen.
c. Die Kirche erlaubt der Regierung, bei der Ernennung von Bischöfen und Pfarrern politische Bedenken zu äußern.
d.Die Kirche untersagt allen Geistlichen die parteipolitische Betätigung.

Ausdrücklich wurde mit diesem Vertrag die seit 59 Jahren existierende „Römische Frage“ für Staat und Kirche als geregelt betrachtet. Das Papsttum bekam mit der vereinbarten Summe für den alten Kirchenstaat eine unerwartet hohe Entschädigung, die ihm die meist liberalen Regierungen ab 1870 nicht geboten hatten. Er sollte sie gewinnbringend – nicht nur in seinen eigenen Banken – anlegen. Die Erhebung zum souveränen Staat mit freiem Durchfahrtsrecht und zugestandener Versorgungssicherheit in Italien entschärfte die Insellage der Vatikanstadt entscheidend. Der Katholizismus als einzige Staatsreligion genoss Privilegien, die in den meisten anderen europäischen Ländern nur dem Staat zustanden. Durch die faktisch neu eingeführte Zensur waren mit einem Schlage lästige religiöse und politische Konkurrenten ausgeschaltet. Die Zensur war eine furchtbare Waffe, die gegen liberale, sozialistische, kommunistische und laizistische Gruppierungen eingesetzt wurde. Die Gleichschaltung sowohl der weltlichen als auch geistlichen Ansichten behinderte das Heranwachsen einer kritischen Jugend massiv.

Die katholische Kirche betrachtete den Vertrag als vollen Erfolg. Am 13. Februar 1929 bezeichnete Pius XI. Mussolini einmal mehr als Mann der Vorsehung und befahl den Priestern, zum Abschluss des Gebets den König und den Duce in die Fürbitten einzuschließen. Deutlicher konnte das Wohlwollen des Papstes für den faschistischen Diktator kaum ausgedrückt werden.

Der Duce, der noch drei Jahre zuvor in der öffentlichen Meinung als Gewalttäter stigmatisiert war, erhielt nun den Segen des „Stellvertreters Christi“. Welch eine Wende! Er war nach all den politisch motivierten Gewalttaten und Morden rehabilitiert in den Augen der katholischen Bevölkerung und der Politiker vieler Länder. Der verhasste geistige und politische Pluralismus im Lande war abgeschafft. Wichtig war für den Diktator auch die Wiedereinführung der politischen Abstinenz der Priester, die ihn leichter gewähren lassen würden bei der Verfolgung seiner innenpolitischen Gegner und bei seiner aggressiven abenteuerlichen Außenpolitik. Mussolini revanchierte sich beim Papst, indem er vereinzelte Versuche des Faschismus, sich als Religionsersatz zu präsentieren, wirksam bremste.

Die deutsche satirische Zeitung „Simplicissimus“ kommentiert die Lateranverträge 1929 mit einer Karikatur im Titelblatt.

6. Die deutsche satirische Zeitung „Simplicissimus“ kommentierte das Bündnis zwischen katholischem Papst und faschistischem Duce 1929 mit einer Karikatur auf dem Titelblatt der Ausgabe vom März 1929 . Die schwebende Weltkugel, auf die der Papst die Hand legt, ist verbunden mit dem Kreuz der Kirche. Mussolini steht zur Verfügung und erhebt die rechte Hand zum faschistischen Gruß. In der linken Hand hält er das Liktorenbündel, Zeichen des antiken römischen Imperium-Gedankens sowie des zeitgenössischen Faschismus. In die fasci eingebunden ist der Hirtenstab des Obersten Bischofs von Rom. Das durch das katholische Emblem modifizierte Rutenbündel versinnbildlicht die Interessenaffinität von weltlichem Imperialismus und geistlichem Universalismus im Ewigen Rom. – Der im Original enthaltene Untertitel „Die Erde bewegt sich, aber rückwärts“ ist eine Anspielung auf den italienischen Mathematiker und Philosophen Galilei (1564-1642), der für die Anerkennung der kopernikanischen Lehre („die Erde dreht sich um die Sonne“) warb. Daraufhin wurde Galilei von der Inquisition der katholischen Kirche gezwungen, diese wissenschaftlich bewiesene These öffentlich zu widerrufen. Überliefert ist sein Ausspruch vor wenigen Eingeweihten hinterher: „Und sie bewegt sich doch!“ Der deutsche Karikaturist freilich meint, dass die Erde sich für den Papst und Mussolini im gewünschten Sinne „rückwärts“ bewege, nämlich reaktionär.

7. Italien entwickelte sich in der Folgezeit immer reaktionärer. Mussolini war gut gelitten bei der Kirche, wie einige Photos zeigen. Das Einvernehmen von Staat und Kirche zeigte sich in der Familienpolitik, wo beide jegliche Geburtenregelung bekämpften.(20,21) Das Christenkreuz hing im Klassenraum – nicht nur während des obligatorisch eingeführten Religions-Unterrichts – meist neben dem Portrait des Duce.(22, 23) Die Knebelung der Meinungsfreiheit (24) war überall spürbar. Der Verherrlichung des Krieges arbeitete die Kirche nicht öffentlich entgegen. Italienische Eroberungskriege auf dem Balkan und in Afrika wurden von ihr abgesegnet. In Afrika wurden die überfallenen Äthiopier (25) wirtschaftlich ausgebeutet und politisch unterdrückt – auch in rassistischer Weise (26). All dies wurde möglich auch durch das klero-faschistische Bündnis, definitiv abgesichert durch die Lateranverträge von 1929.

Mussolini wird empfangen von salutierenden uniformierten Jugendlichen und von applaudierenden Priestern.

Kirchliche Würdenträger und Mussolini empfangen den Papst mit dem römischen Gruß.

Eine mustergültige Familie. Mamma Genoveffa, 49 Jahre alt, mit ihren neun Kindern und ihrem Mann (1938).

 

 

 

 

 

 

Die kinderreiche Familie. Dieses Familienfoto wurde Mussolini zugesandt von einem faschistisch gesinnten Familienvater, den wir hier in Uniform sehen. Die Widmung lautet wie folgt: „Duce! Immer zu Ihren Diensten für die Größe des Vaterlandes.“ Die beiden jüngeren Kinder rechts tragen die Uniform der „Söhne der Wölfin“. Die vier älteren Söhne links davon tragen die Uniform der „balillas“. Der älteste Sohn ist „avanguardista“.

 

Eine Grundschulklasse im faschistischen Italien. An der Tafel steht die Parole Mussolinis: „Ihr Kinder müsst euer ganzes Leben lang die treuen Hüter der heldenhaften Kultur sein, die Italien schafft mit Arbeit, Disziplin und Eintracht.“ - Man beachte das Kreuz neben dem Bild des italienischen Königs links und dem Diktator Mussolini rechts. Der Einklang zwischen katholischer Kirche und faschistischer Politik war in der Öffentlichkeit schon für kleine Schulkinder unübersehbar.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein „balilla“ trägt stolz die Fahne seiner Gruppierung vor der Kaserne von Mailand (1928). Man beachte die Standarte mit dem Adler in Anlehnung an die römischen Legionen. Links neben den italienischen Nationalfarben befindet sich das christliche Symbol des Kreuzes, das Eingang in eine paramilitärische Gruppe von Jugendlichen gefunden hat. Die enge Verbindung von Katholizismus als Staatsreligion und faschistischem Staat wird deutlich.

 

 

Das Bild des äthiopischen Malers Béranou Iman zeigt die Unterdrückung und Ermordung der schwarzen Bevölkerung im Abessinischen Krieg (1935-36): das Attentat auf den italienischen Marschall Graziani, Vizekönig von Äthiopien 1937, führte zu einer Strafexpedition der faschistischen Invasoren. Es kostete 3000 bis 6000 Äthiopier das Leben.

Die „Verteidigung der Rasse. Deckblatt der Ausgabe Nr. 3 der rassistischen Propagandazeitschrift „la difesa della razza“ vom September 1938. Das Schwert trennt die abgebildeten Menschen in zwei Lager. Der antik-römische Kopf hat deutlich höheren Wert als der Kopf eines Juden oder der Kopf einer Schwarzen. Auch der italienische Rassismus kannte Herren- und Sklavenrassen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schwarzhemden, die antifaschistische Zeitungen verbrennen (1920).

8. Das Reichskonkordat, geschlossen zwischen Pius XI. und Hitler, weist bemerkenswerte Parallelen auf zum Konkordat der Lateranverträge  zwischen Pius XI. und Mussolini. Auch hier kam es zu einem Konsens  zwischen Katholizismus und Faschismus aufgrund  ähnlicher Entstehungsbedingungen:

a) Auch hier begünstigten  Kriegsfolgelasten, Inflation und Wirtschaftskrise den Aufstieg der Rechtsextremisten.
b) Auch hier waren die Feindbilder Demokraten, Liberale, Sozialisten, Kommunisten und Laizisten.
c) Auch hier leistete die Katholische Kirche mit der Zentrumspartei Beihilfe bei der Errichtung der faschistischen Diktatur.
d) Auch hier gab das Papsttum die katholische Partei, in diesem Falle die des Zentrums, preis.
e) Auch hier wurde zuletzt ein Konkordat geschlossen zwischen Kirche und faschistischem Staat.

Die Konkordate brachten den Katholischen Kirchen beider Länder Vorteile:
a) Wirtschaftlich wurden an den Steuerprivilegien der Kirche nicht gerührt. Der Vatikanstaat erhielt auf Kosten des Steuerzahlers eine überaus große Abfindung für den Verlust des Kirchenstaates 1870. In Deutschland erhielt die Kirche mit dem vom Staat durchgeführten Einzug der Kirchensteuer große und flächendeckend gesicherte Einnahmen.
b) Der Klerus behielt seine Hoheit auf dem Gebiet der Seelsorge und Kultur in Kirchen, Konfessionsschulen, Kindergärten, Heimen, Strafanstalten, in der Armee u.a. Das „Neuheidentum“ im Faschismus wurde von Hitler ebenso gebremst wie von Mussolini. In Italien wurde der Faschismus überdies  Staatsreligion.

Auch den Staaten beider Länder brachte die Partnerschaft Vorteile:
a) Für beide Diktaturen brachten die Konkordate ein Bündnis mit einer konservativen ideologischen Großmacht, das mit seinem Prestige in der internationalen Politik die faschistischen Systeme beider Staaten gewaltig aufwertete.
b) Das Bündnis nahm vielen Katholiken die Furcht und die Vorbehalte gegenüber dem Faschismus, der dadurch seine Macht konsolidierte.
c) Die vom Vatikan und dem Episkopat verordnete politische Abstinenz der Katholiken und die Reduzierung der Arbeit der einst so mächtigen Verbände auf „rein religiöse, kulturelle und karitative Aufgaben“ gab dem jeweiligen Diktator freie Hand für eine repressive Innenpolitik und eine imperialistische Außenpolitik.
d) Die Bereitstellung der Militärseelsorge diente der Effizienz der Kriegsführung.
e) Der Konsens bei der Abschaffung der Meinungsfreiheit nützte einer wirksamen Gleichschaltung der Gefolgschaft von Führer bzw. Duce.

9. Wir sehen, wie der Geist der  Lateranverträge vier Jahre später das Reichskonkordat zwischen Pius XI. und Hitler inspirierte. Deutschland und Italien waren indessen nicht die einzigen Konkordatspartner des Vatikans. Auch mit dem faschistischen Diktator Franco, der in Spanien seinen Sieg über die republikanische Linke maßgeblich Hitler und Mussolini verdankte,  schloss der Papst einen Vertrag. Den genannten drei Konkordats-Beispielen Italien – Deutschland – Spanien liegt eine päpstliche Gesamtstrategie zugrunde. Auch hier paktierte der Heilige Stuhl mit Rechtsextremisten, die die republikanisch, demokratisch, liberal, sozialistisch, kommunistisch und laizistisch eingestellte Opposition gnadenlos verfolgte.

 

Unterzeichnung des Konkordats zwischen dem Vatikan und dem nationalsozialistischen Deutschland am 20. 7. 1933. In der Mitte Nuntius Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII.

 

Liebe Anwesende, es konnte für heute nicht auch noch die Analyse und Bewertung des Paktes zwischen dem Vatikan und dem faschistischen Spanien geleistet werden. Vielleicht werden diese Aufgabe einmal andere Kräfte zu einem anderen Zeitpunkt übernehmen. Meine Damen und Herren, im Namen der Arbeitsgruppe „Reichskonkordat“ des RIR (Religionsfrei im Revier) danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Quellennachweis:

1) Weltkriege und Weltordnung im 20. Jahrhundert. Geschichtliches Unterrichtswerk für Höhere Lehranstalten. Oberstufe Ausgabe G, Band III. Hrsg. H. Tenbrock, H.-E. Stier, K. Thieme. Paderborn 1963, S. 94.

2) Karlheinz Deschner, Mit Gott und den Faschisten. Der Vatikan im Bunde mit Mussolini, Franco, Hitler und Pavelic. Freiburg 2012. S.8.

3) K. Deschner, a.a.O., S.12

4) K. Deschner, a.a.O., S. 12.

 

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